Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
maile sie Ihnen.«
»Ich möchte alles sehen, was Sie haben«, wiederholte er. Ganz offensichtlich hatte sie ihm einige Sachen vorenthalten wollen, was er ihr kaum verübeln konnte. Die Frau hatte ihr wahres Wesen ihr Leben lang verheimlicht, und mit dem Bild, das er soeben gesehen hatte, war der letzte Schleier gelüftet. Buchstäblich. Etwas so Luxuriöses wie eine Privatsphäre konnte sich jetzt allerdings keiner von ihnen leisten.
»Natürlich. Ich schicke Ihnen auch meine Notizen.«
Mit einer geschickten Bewegung stand Adam auf. Er wollte ihr etwas Raum verschaffen. Und sich ebenfalls. Wollte einen klaren Kopf bekommen. Durch einen anstrengenden Lauf würde das Bild, das sich in seinen Kopf eingebrannt hatte, etwas an Intensität verlieren.
Aber erst hatte er noch eine Frage. »Der Titel. Wieso Die Schlafende Schöne ?«
Talia riss das Kabel aus der Rückseite des Laptops und drehte sich um, um den Stecker aus der Wand zu ziehen. Sie sah ihm nicht in die Augen, und er zwang sie nicht dazu.
»Es ist eine Anspielung auf meinen Namen«, erklärte sie hastig. »Das war das Lieblingsmärchen meiner Mutter. Meine Mutter war in ihrem Leben sehr häufig an das Bett gefesselt, und sie hat gesagt, dass mein Vater sie ›erweckt‹ habe. Talia stammt aus einer älteren französischen Version der Geschichte, aus der Zeit vor Disney.«
Adam verstand. »Aurora.«
Sie legte das Kabel auf den Laptop, drückte beides an ihre Brust und ging um den Tisch herum zur Tür. Wieder lief sie weg.
»Talia«, rief er.
Sie blieb stehen, sah sich jedoch nicht um.
»Der Name passt zu Ihnen«, sagte er.
8
REDRÖM. Mörder. Das atemberaubende Grauen aus Zimmer 217.
Das Telefon klingelte und riss Talia aus Shining zurück in die reale Welt. Die schrecklich beschämende Welt, in der Adam jetzt die neun Abbildungen kannte, die sie im Internet von sich gefunden hatte. Auf allen war sie als verführerische Schönheit dargestellt, was nicht annähernd der Realität entsprach. Lachhaft. Sogar erbärmlich. Vor allem die Zeichentrickgeschichte, in der sie als eine Art Dämonen tötende Domina mit Strapsen ganz in Leder auftauchte.
Am liebsten wäre sie unter einen Felsen gekrochen und gestorben.
Wieder läutete das Telefon. Was, wenn er es war?
Das glänzende graue, schnurlose Telefon ärgerte sie und klingelte ein drittes Mal.
Sie griff den Hörer und nahm das Gespräch an. »Hallo?«
»Talia. Hier ist Adam.«
Verdammt .
»Könnten Sie vielleicht hinunter in die Küche kommen? Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen.« Er klang neutral. Zu neutral.
Was muss er von mir denken? Sie konnte immer noch weglaufen. Alles vergessen. Er hatte ihre gesamten Aufzeichnungen. Er konnte ohne sie weitermachen.
»Klar«, erwiderte sie. »Nur eine Minute.« Eine Minute, um mich vom Balkon hinunter in den Tod zu stürzen.
»Danke.«
Talia legte auf. Ihr Gesicht brannte. Wenn er sie eigenartig fand, war das eine Sache. Wenn man Segue und das Team hier betrachtete, umgab er sich sowieso mit seltsamen Menschen. Aber wenn er sie für eine Witzfigur hielt, war das etwas ganz anderes. Es war furchtbar.
Talia ging ins Bad und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Sie tupfte es mit einem Handtuch trocken und steckte ihre Haare auf dem Hinterkopf zu einem Knoten zusammen.
Sie schleppte sich zur Wohnungstür, zwang sich, das Kinn zu heben – deutlich zu heben – und trat in den Flur hinaus.
Der Aufzug surrte hinunter in den Hauptbereich des Hotels. Die Salons lagen im Abendlicht. Die Dunkelheit hing in den Ecken, während die Nacht langsam den Tag vertrieb. Die Schatten strichen sanft über ihre Haut und lockten sie, in ihre Tiefe zu kommen. Oh, wie verführerisch sie waren.
Sie ignorierte sie und eilte grimmig voran zu dem vergleichsweise hellen Licht am anderen Ende des Gebäudes. Als sie über die Schwelle trat, klopfte ihr Herz. Pattys Oberkörper war von der Tür eines Industriekühlschranks verdeckt. Ein älterer Mann, den sie noch nicht kannte, tauchte am Tresen einen Teebeutel in einen Becher. Als sie eintrat, stieß Adam sich von der Kante ab, an der er mit einer Bierflasche in der Hand gelehnt hatte.
Sie blickte in sein Gesicht, sah ihm ganz kurz direkt in die Augen und senkte den Blick, als ihr die Hitze in die Wangen schoss. Sie musste etwas unternehmen, und zwar schnell, ansonsten würde sie sich blamieren. Schon wieder.
»Talia. Danke, dass Sie heruntergekommen sind. Ich möchte Ihnen Dr. Philip James vorstellen, unseren
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