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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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strömte seine Geschichte aus ihm heraus, die Details drückten sich in Noten aus, die Gefühle ergaben ein Klangbild. Aggression herrschte vor, doch die Gefühlstiefe entstand durch den Schmerz. Der Refrain erstarb, und das Stück löste sich in zwei Melodien auf, die miteinander sprachen – eine gleichmäßig, männlich, vorhersehbar, Adam; die andere, sein Bruder, bestand aus reiner Improvisation und endete in einer katastrophalen Explosion aus Tönen, dem Tod.
    Sie wusste, was aus Custo geworden wäre, wenn der Geisterkrieg nicht dazwischengekommen wäre. Seine Musik war absolut aufrichtig und er ganz offensichtlich ein Meister dieses Instruments. Wenn er spielte, konnte sie ihn deutlich erkennen. Er gab alle Geheimnisse preis. Das war seine Wahrheit.
    Annabella klopfte das Herz bis zum Hals, als sie versuchte, die Dunkelheit des Clubs daran zu hindern, sich in die Zwielichtlande zu verwandeln, denn die Melodie des Stückes hallte in ihrer Seele wider. Magie flackerte am Rand ihres Gesichtsfeldes auf, aber sie konzentrierte sich auf Custos gesenkten Kopf. Sie blieb in dem Club und atmete Rauch anstelle der berauschenden Luft des Schattenreiches ein.
    Custo ließ sein Spiel langsam ausklingen und ermunterte die anderen mit einer Bewegung seines Kopfes ebenfalls zu Solopartien. Der alte Mann spielte, als würde er Custos Geschichte kennen, der Bass hörte sich an wie ein schneller Herzschlag. Das sich anschließende Schlagzeugsolo klang mit seinem Schnappen und Trommeln nach einer Flucht vor der Gefahr.
    Als Custo wieder mit einfiel, spielte er höhere trällernde Töne, etwas unheimlich und … durchzogen von der dominanten Melodie von Giselle . Annabella errötete, als sie begriff, dass er sie in die Geschichte wob. Mit seiner Improvisation spann er die beiden Melodien zu einer Komposition zusammen: berauschend, schmerzhaft, voller vergeblicher Hoffnung. Ein Liebeslied.
    Sie kannte ihn erst seit zwei Tagen und die waren die Hölle auf Erden gewesen. Er war ein Engel, das war deutlich zu hoch für sie.
    Aber was sollte sie anderes tun, als seine Liebe zu erwidern, wenn er mit seiner Seele den verrauchten Club erfüllte?

17
    Custo griff den Hals der Gitarre und stand auf, um den vereinzelten Applaus entgegenzunehmen. Nicht, dass er ihn brauchte. Gott, das Spielen hatte sich so gut angefühlt. Er hatte seine unerträgliche Unruhe mit einem Mittel bewältigt, das genau so befriedigend war wie eine Prügelei auf der Straße, nur ohne gebrochene Nase oder blutige Knöchel.
    Seit dem Angriff bei Abigail hatte es ihn in den Fingern gejuckt, jemanden umzubringen. Die Reise in die Vergangenheit hatte auch nichts genutzt. Kaputtes Leben, kaputte Welt. Jetzt, wo dieses Gefühl verebbte, konnte er nachdenken. Er konnte sein. Die finstere, wütende Seite in ihm hatte sich endlich beruhigt. Es war befreiend.
    Während seines Spiels hatte sich in der Dunkelheit des Clubs nichts getan. Keine auffällige Bewegung. Kein Wolf. Alles friedlich. Der Wolf hatte so viele Gelegenheiten zum Angriff gehabt, aber keine genutzt. Das Warten in Segue, seine »ambulante« Operation, der Empfang, das Loft, jetzt Jacks Laden. Er wusste nicht, womit sie diese Pause verdient hatten.
    Vielleicht war es überhaupt keine Pause.
    Custo hatte Annabella beim Spielen aus dem Augenwinkel beobachtet. Er war bereit gewesen, Jacks 20000-Dollar-Gitarre fallen zu lassen, falls sie vor Angst gezuckt hätte. Jetzt traute er sich, sie direkt anzusehen.
    In ihrem dunkelblauen Kleid sah Annabella wie eine Königin aus, immer aufrecht, nie in sich versunken oder entspannt. Sie wirkte nicht mehr ganz so wütend. In ihren Augen schimmerten Tränen, bei einer Frau kein gutes Zeichen. Aber sie wirkte weder traurig noch ängstlich. Das gefiel ihm nicht.
    Er war froh über seine Entscheidung, ihre Gedanken nicht mehr zu lesen. Im Augenblick beunruhigte ihn die Vorstellung, was er dort vorfinden würde. Er hatte gewollt, dass sie ihn spielen hörte, aber jetzt fühlte er sich bloßgestellt, unwohl in seiner Haut.
    Er unterdrückte das Gefühl. Es war nicht schwer, sie wieder zu verärgern. Das konnte er wirklich gut.
    Der Bassspieler und der Schlagzeuger nickten Custo anerkennend zu, der ihnen für ihre Begleitung dankte. Sie erwiderten mehrfach und aufrichtig jederzeit .
    Dann war Jack da. »Du hast in den letzten zwei Jahren zwar nicht für mich gespielt, aber immerhin hast du gespielt.«
    Custo hatte seit Jahren keine Gitarre mehr angerührt. Doch seine Finger hatten

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