Zwielichtlande
sie.
Vermutlich hatte der durch einen Code gesicherte Eingang einen Einbruch bei Segue gemeldet. Gerade bei diesem Gebäude löste das eine erhöhte Alarmbereitschaft aus. Er verfluchte Adam, weil der wusste, wo er sich befand und alles so leicht machte, indem er einfach einen Wagen schickte, wenn Custo ihn benötigte.
Verdammt, er brauchte eine Nacht ohne Segue und ohne Adam, und zwar sofort.
Custo öffnete die Beifahrertür für Annabella, die einstieg, jedoch weiterhin eisern schwieg. Der Fahrer sah ihn fragend an. »Aussteigen«, befahl Custo.
»Wie bitte?«
»Aussteigen«, wiederholte Custo.
Der Fahrer gehorchte, während Custo um den Wagen herum ging. Matt Becket war ein Sicherheitsbeamter aus alten Tagen, als es noch keine Soldaten gegeben und Segue noch nicht mit der Regierung zusammengearbeitet hatte. Er hatte es wirklich nicht verdient, mitten in der Stadt zu stranden, aber das ging vielen so. »Sag Adam, dass ich dir die Nacht freigegeben habe.«
»Aber … «
Custo setzte sich auf den Fahrersitz, schlug die Tür zu und sperrte den Rest der Frage aus. Der Fahrer stand immer noch auf der Straße, als Custo sich in den Verkehr einfädelte. Annabella war schlechter Stimmung, er ebenso und Matt nun vermutlich auch.
Annabella machte auf perfekte Eisprinzessin, als er in die Houston einbog und Richtung Thompson fuhr. Zu Alley Jack Bar und Club . Custo blickte auf die Uhr auf dem Armaturenbrett, 22.43 Uhr. Wenn die Geister dem Clubbesitzer Jack Stampos nicht die Seele ausgesaugt hatten, begann in siebzehn Minuten die offene Bühne, die jeden Dienstag stattfand.
Adam und Segue waren Custos Zuhause gewesen, Alley Jack seine Kirche, die er je nach Laune einmal wöchentlich besucht hatte. Das letzte Jahr, bevor Spencer ihm den Garaus gemacht hatte, war er nur noch sporadisch hergekommen, aber ohne diesen Ort erschien ihm eine Reise durch das Leben und Schaffen des Mistkerls Custo Santovari einfach nicht vollständig. Mit etwas Glück hatte Jack sogar ein Zimmer für die Nacht.
Custo musste drei Blocks vom Club entfernt parken. Obwohl Annabella ihn immer noch mit Schweigen strafte, legte er beim Gehen einen Arm um sie, falls die herumlungernden großen Schatten auf dumme Ideen kamen. Der Geruch von Ingwer und asiatischen Gewürzen aus einem nahe gelegenen Chinaimbiss erinnerte ihn daran, wie hungrig er war und dass Annabella immer noch nichts gegessen hatte.
Im Licht der Straßenlaterne wirkte ihr Profil glatt und kühl wie Marmor. Er mochte ein Mädchen, das nach all dem Mist, den es durchgemacht hatte, immer noch eine vorwurfsvolle versteinerte Miene aufsetzte. Diese Standhaftigkeit verlangte starke Nerven und Hingabe, beides hatte sie jahrelang beim Ballett trainiert. Schlecht für ihn, gut für sie.
Sie erreichten die schmalen Betonstufen zu Alley Jack . Sie waren sehr steil, zum Ein- und Ausladen der Geräte, und für hohe Absätze vermutlich ziemlich ungeeignet. Er musste sie wohl noch etwas stärker stützen. Gut für ihn, schlecht für sie.
»Da gehe ich nicht hinunter«, erklärte sie.
»Aber klar.« Custo gab ihr einen kleinen Stups. Die Straße war stark befahren und hell erleuchtet, aber er traute den unübersichtlichen Ecken an den Gebäuden nicht. Irgendwo in dieser Stadt lungerte ein Wolf herum, lag auf der Lauer und wartete.
Annabella meckerte den ganzen Weg nach unten und beschwerte sich, von einem miesen Unterschlupf zum nächsten geschleppt zu werden, nur um sich schließlich auf einer verdammten Treppe das Genick zu brechen. Als sie die Tür zum Club aufriss, übertönte ein Tenorsaxofon ihre Stimme.
»Hier ist es zu dunkel«, schrie sie und blieb im Eingang stehen.
Der Wolf versteckte sich im Schatten, sodass ihre Angst verständlich war, aber inzwischen konnte ihm auch Licht nichts mehr anhaben. Sie musste sich überwinden.
Halb schob, halb trug Custo sie in den vergleichsweise finsteren Club. Die Vibrationen der lauten Musik spürte er beinahe auf der Haut. »Wir bleiben nicht lange hier unten«, sagte er in ihr Ohr. »Hier können wir einmal allen entkommen.«
Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er links von sich die Bar ausmachte, an der ein paar Männer hockten. Andere saßen an kleinen Tischen, die sich in dem schiefen rechteckigen Raum dicht aneinanderdrängten. In den schmalen Lücken dazwischen standen diverse Instrumente herum. Der Raum endete an einer leicht erhöhten Bühne, auf der ein Trio spielte – Schlagzeug, Kontrabass und
Weitere Kostenlose Bücher