Zwielichtlande
gar nicht.«
»Die Arbeit der Engel interessiert mich nicht. Wieso auch? Die gehen mich nichts an.« Der Schattenmann sprach leise und bedrohlich. »Ich habe es nur auf dich abgesehen. Du hast mich hereingelegt.«
Custo stemmte die Füße fest in den Boden und sammelte alle Kraft, um ihn fernzuhalten. »Ich musste den Himmel verlassen und auf die Erde zurück. Es hängen Leben von mir ab. Bitte, ich muss bleiben.«
Der Schattenmann trat näher. »Was denkst du, wie viele Seelen mich schon angefleht haben? Ich habe Menschen mit Schmerz und Qualen abgewiesen, die du dir nicht im Entferntesten vorstellen kannst. Verschone mich mit deiner Leidensgeschichte; ich habe deutlich schlimmere als deine gehört und mich dennoch nicht erweichen lassen.«
»Jemand aus dem Schattenreich, jemand von deiner Spezies bedroht diese Tänzerin. Sie ist verletzlich, unschuldig. Aber sieh nur, wozu sie fähig ist!«
Custo blickte hinüber zu der Frau, die keine zehn Schritte von ihm entfernt ihren Zauber entspann. Annabellas Gabe ließ sie erstrahlen.
Der Schattenmann verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen. Er sah nicht zur Bühne. »Meine Kathleen hat fantastische Ansichten vom Schattenreich gemalt, und dennoch durfte sie wie alle anderen nur hindurch reisen. Du willst deiner Frau helfen, aber du hast es geschafft, mich von meiner fernzuhalten.«
»Ich habe nie behauptet, dass Kathleen im Himmel ist«, widersprach Custo.
»Über die Einzelheiten des Betrugs können wir unterwegs diskutieren. Ich bin sicher, dass du in dieser Hinsicht geschickter bist als die meisten anderen aus dem Engelsklan.«
»Ich gehe nirgendwohin«, sagte Custo laut genug, damit der Bühnenhelfer neben dem Vorhang ihn anzischte. »Sie braucht mich. Ich verlasse sie nicht.«
»Das glaube ich aber schon.« Der Schattenmann legte eine Hand auf Custos Schulter. Dort, wo er ihn berührte, schoss eine kalte Welle durch seinen Körper, Fäden aus Schatten breiteten sich in ihm aus und mischten sich mit seinem Blut. Die dunklen Schattenranken verkrampften seine Nerven und ließen sein Mark gerinnen.
»Komm«, sagte der Tod.
Custo widersetzte sich dem Zwang, so gut er konnte, mit seinen Gliedern, seinem Herzen und seinem Geist. Dennoch bewegte er sich vorwärts.
»Du musst wissen«, fügte der Tod mit einem gemeinen Gesichtsausdruck hinzu, »dass ich keine Macht über dich hätte, wenn deine Seele nicht bereits dunkel und schattig wäre. In dem eigenartigen, geordneten Chaos des Universums hast du dich dazu entschieden.«
Dunkel, schattig, sogar verdorben, ja. Aber er hatte sich nicht dazu entschieden. Custo versuchte, sich gegen den Griff des Schattenmanns zu wehren, tat aber dennoch einen weiteren Schritt nach vorn, dann noch einen. Custo streckte gegen seinen Willen die Hand aus, um die Tür zu öffnen. Obwohl er sich bemühte, noch einen Blick auf Annabella zu erwischen, trugen seine Beine ihn fort von ihr.
Custo konnte atmen, aber nicht sprechen. Was hast du mit mir vor? , fragte er im Geist. Seine Haut spannte unter dem dichter werdenden Netz aus Schatten; er konnte beinahe spüren, wie er immer dunkler wurde, während sie ihm die Lebenskraft entzogen. Er glaubte nicht, dass der Tod ihn ein zweites Mal am Himmel absetzen würde, abgesehen davon, dass er dort ohnehin nie hingehört hatte.
Als die schwere Tür hinter ihnen zufiel, verstummte augenblicklich die Melodie, lediglich das Jammern der Saiteninstrumente und das Brummen des Basses waren gedämpft zu hören.
»Wir haben schon einmal einen Handel gemacht«, sagte der Schattenmann. In perfektem Gleichschritt gingen sie durch die rückwärtigen Gänge des Centers. »Jetzt benutze ich dich für einen anderen.«
Custo wollte antworten, konnte aber noch nicht einmal stöhnen. Die Schatten würgten ihn. Jetzt musste Jens bemerkt haben, dass er weg war. Entweder würde er den Schutz für Annabella ersetzen, oder vielleicht die Vorstellung wegen des Angriffs durch die Geister abbrechen.
Custos Hände krampften sich zusammen, er musste reflexartig versucht haben, sich festzuhalten. Selbst sein hämmernder Herzschlag wurde von den Schatten erstickt. Wo bringst du mich hin?
»Wenn meine Kathleen nicht im Himmel ist, muss sie woanders sein.« Die Stimme des Todes verlor ihren sarkastischen Ton und klang nun verbittert. »Sie gehört nicht dorthin. Ich habe die Gesetze der Zwielichtlande gebrochen. Ich habe meine Macht missbraucht, um die Grenze zu überschreiten. Welcher Gerechtigkeit wird Genüge
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