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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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überirdisch, beide vollkommen ahnungslos, welcher Albtraum sich vor dem Theater abspielte.
    »Adam. Er ist allein da draußen.«

9
    Als Giselle aus ihrem frisch ausgehobenen Grab aufstand, blickte sie mit gebrochenem Herzen auf den erdigen Waldboden. Sie hatte die Hände über der Brust gefaltet, um die Scherben ihrer Liebe in sich zu bewahren. Prinz Albrecht würde eine andere heiraten, eine Dame vom Hof, kein Bauernmädchen, das nichts von der Welt wusste. Sein Verrat brachte sie um, aber sie konnte nicht anders, sie liebte ihn immer noch.
    Doch sie war nicht länger ein Bauernmädchen.
    Sie war eine Wili , ein Gespenst, und würde für immer tanzen.
    Giselle schloss sich der Gruppe der anderen Wilis an, die in der mitternächtlichen Stille des Waldes gefangen waren, und tanzte auf Zehenspitzen an der langen Reihe von Tänzerinnen vorbei zu Myrtha, der Königin der Wilis .
    Alles wirkte ruhig und friedlich, so, wie es sein sollte. Annabellas Körper fühlte sich kräftig an, sie war gut vorbereitet, obwohl etwas an ihren Nerven zerrte. Das Gefühl war mehr als die Nervosität bei einer Premiere, als Lampenfieber, es war Angst.
    Auf der einen Seite befand sich die Waldkulisse, auf der anderen lag der dunkle Theatersaal, in dem das Publikum Giselles tragischer Liebesgeschichte folgte. Annabella hob den Blick und sah hinter die Vorhänge an den Seiten der Bühne: Neben den künstlichen Bäumen stand ein strahlender Engel, seine hellgrünen Augen auf sie gerichtet. Er bedeutete Hoffnung und Schutz zugleich. Wenn er zusah, fiel ihr das Tanzen leichter.
    Custos Nähe gab ihr Sicherheit.
    Giselle richtete sich aus einem tiefen Knicks auf und begann mit der Serie von Arabesquen, die ihre Ankunft im Jenseits ankündigte. Mit klopfendem Herzen wirbelte sie durch die Luft, entspann ihre Magie und griff nach einer Welt jenseits ihrer eigenen.
    »Wo bist du, Tommy?« Custo betonte jedes Wort und ließ Annabella dabei nicht aus den Augen. Sie bewegte sich zwischen den anderen Tänzerinnen in der Mitte der Bühne. Bislang gab es keinen Hinweis auf den Wolf. Noch nicht.
    Custo trat an den Rand des Vorhangs. Sollte er sie jetzt packen? Die Vorstellung abbrechen? Den Auftrag beenden? Würden sie eine zweite Chance bekommen? Verdammt.
    »Wieso sitzt du nicht auf deinem Platz?« Custo suchte mit seinem Geist nach Tommy und entdeckte ihn bei den hinteren Ausgängen im Erdgeschoss. Custo drang in seine Gedanken ein: Der Agent hatte beschlossen, direkt nach der Abmeldung in den Kampf einzugreifen. Aber auf wessen Seite wollte Tommy kämpfen?
    Mit Tommy als Bezugspunkt drängte Custo vorsichtig hinaus in das Gedankenwirrwarr auf der Straße. Nach Adam zu suchen, kam dem Versuch gleich, einen bekannten Stern an einem fremden Nachthimmel zu finden. Er entdeckte nichts Vertrautes, dann …
    Da. Adam war wild entschlossen zu überleben.
    Tommy surrte in Custos Ohr und antwortete. »Ich habe einen Geist entdeckt und bin ihm gefolgt, anstatt meinen Sitz im Publikum einzunehmen. Willst du, dass ich die anderen von ihren Posten abziehe?«
    Damit Annabella schutzlos und angreifbar zurückblieb?
    »Zieh nur die Agenten in den hinteren Reihen ab, die Posten um die Bühne herum sollen bleiben. Halte mich über die Situation mit den Geistern auf dem Laufenden.«
    Custo hörte besorgt zu, wie Tommy die Soldaten einzeln mit Namen ansprach und sie diskret zur Rückseite des Gebäudes dirigierte.
    »Beeilt euch«, fügte Custo hinzu. Dort draußen war Adam. Talia und die Babys brauchten ihn. Wenn Adam starb – okay, dann gab es einen Engel mehr – , aber das bedeutete die Hölle für den Geisterkrieg auf der Erde. Adam und Talia waren die einzige Hoffnung der Sterblichen.
    Von seinem Standpunkt aus konnte Custo nur einen Teil des Zuschauerraumes überblicken. Das Publikum war hingerissen und vollkommen auf die Bühne konzentriert, aber vereinzelt standen ein paar Personen auf und verließen die Reihen. Er vermutete, dass andere in den hinteren Reihen dasselbe taten. Das musste reichen.
    Jasper fing Annabella bei der ersten ihrer Hebefiguren auf, die Custo vorhin im Studio gesehen hatte. Die, bei der er Annabella an den Hüften hoch in die Luft hob. Die Figur wirkte mühelos, aber in Anbetracht der ganzen Situation mit Wolf und Geistern bevorzugte es Custo, wenn sie mit beiden Beinen auf dem Boden stand.
    Die Geister waren im Plan nicht vorgesehen. Vermutlich handelte es sich nicht um einen offiziell geplanten Angriff. Sie mussten von jemandem aus

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