Zwielichtlande
sich verraten. Hatte Custo nicht sein Leben für Adam gegeben? Und das war nun der Dank dafür? Custo schob dieses irrationale Gefühl entschieden zur Seite. Adam und er rechneten nicht auf; sie hatten immer alles freiwillig füreinander getan. Und schließlich fühlte er sich hilflos und hatte das dringende Bedürfnis, etwas zu tun. Wenn Adam Annabella nicht helfen konnte, musste Custo jemand anders finden, der das übernahm.
Es blieb nur Luca übrig.
»Sei um acht Uhr startklar«, sagte Custo. »Je eher wir dafür sorgen, dass sich jemand um die Frauen kümmert, desto besser.«
»Ich bin fertig«, erwiderte Adam.
Custo blickte hinüber zu der offen stehenden Badtür. Etwas fiel klappernd auf die Fliesen, Annabella fluchte. Nur noch ein oder zwei Minuten bis zu ihrem Ende. »Hast du schon die undichte Stelle gefunden? Dir ist doch klar, dass jemand den Geistern verraten haben muss, dass du am City Center sein würdest.«
Die Bedrohung innerhalb von Segue hatte mit Adam zu tun. Das war offensichtlich. Hätten die Geister die Theaterzuschauer angegriffen, wäre wesentlich mehr Chaos entstanden, der Schaden deutlich größer gewesen. Bei einer Blockade der Ausgänge hätten sie unbehelligt fressen, morden und fliehen können, ehe Segue endlich genug Kräfte gegen sie organisiert hatte.
Stattdessen hatten die Geister sich für einen konzentrierten Angriff vor dem Theater entschieden. Warum dort?
Jemand musste ihnen gesagt haben, wo Adam sich postieren würde, um Annabella im Notfall helfen zu können. Wenn sie Adam hatten, war Talia geschwächt, vor allem, da sie die nächsten Wochen ans Bett gefesselt sein würde. Und wenn die Welt auf Talias Schrei verzichten musste, konnten die Geister ungehindert angreifen und fressen. Das Leben, wie die Menschheit es bisher gekannt hatte, wäre für immer verloren.
»Ich habe ihn noch nicht gefunden«, antwortete Adam, »aber ich habe einen starken Verdacht.«
»Erzähl.« Schließlich war Custo deshalb aus dem Himmel geflohen. Wenn er zurückgehen musste (vielleicht in ein wärmeres Klima), wäre es in gewisser Weise befriedigend zu wissen, dass der Verräter gefasst war.
»Siebenundzwanzig von fünfunddreißig Soldaten haben den Geisterangriff überlebt. Sie waren die einzigen, die alle Einzelheiten der Mission kannten. Alle haben sich zurückgemeldet, bis auf Geoff. Sein Partner ist ermordet worden, aber nicht von Geistern. Geoff hat sich während der Aufräumarbeiten kurz in den Server von Segue eingeloggt, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass die Geister ihn als kleinen Mitternachtsimbiss verschlungen haben. Und es ist logisch, dass er jetzt davonläuft, nachdem sich der Kreis der Verdächtigen von einigen Tausend auf siebenundzwanzig reduziert hat.«
Das hörte sich zu simpel an. Es gefiel Custo nicht.
»Aber um ganz sicher zu sein«, fuhr Adam fort, »habe ich das restliche Team von gestern Nacht gebeten, sich für die Dauer der Untersuchung freiwillig in der New Yorker Filiale in Sicherheitsverwahrung zu begeben. Ich will alle verhören.«
Das klang schon besser. Adam war sorgfältig, vor allem wenn Talia betroffen war.
Wenn genügend Zeit gewesen wäre, hätte Custo die Verhöre gern selbst durchgeführt. Mit ein paar gezielten Fragen wäre der Mann ziemlich schnell entlarvt, selbst wenn er log. Gedankenlesen war deutlich effektiver als jeder Lügendetektortest.
Es drohten zu viele Gefahren von zu vielen unterschiedlichen Seiten. »Ich brauche eine Waffe, Adam. Ich will nicht unbewaffnet sein.«
»Ich habe deine Glock hier.«
Annabella trat aus dem Badezimmer, ließ jedoch aus Angst vor der Dunkelheit das Licht an. Ihre zur Seite gekämmten Haare fielen in weichen dunkelbraunen Wellen bis auf ihre Schultern herab und umrahmten ihr Gesicht. Soweit er das erkennen konnte, war sie kaum geschminkt, nur auf die Lippen hatte sie etwas Farbe aufgetragen.
»Gut«, sagte Custo. »Wir sind gleich oben.«
Annabellas Blick glitt von Adams aschfahlem, ernstem Gesicht zu Custos. Niemand sprach ein Wort, die Anspannung vergiftete die Atmosphäre. Die Verbindung, die sie noch heute Morgen mit Custo geteilt hatte, war auf seltsame Art gekappt und das Verhältnis distanziert, obwohl allein der Anblick seines Profils erneut heftiges Verlangen in ihr auslöste. Custo zu begehren, lenkte sie auf wundervolle Art von der Verlockung des Schattenlandes ab. Natürlich nur, wenn Custo mit ihr sprach oder auf irgendeine andere Art signalisierte, dass sie zusammenhielten. Sie waren
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