Zwielichtlande
doch ein Team, oder etwa nicht?
Aber das konnte sie schlecht fragen, wenn Adam wie das fünfte Rad am Wagen wirkte und Custo sie ignorierte, solange sie auf dem Rücksitz saß. Sie musste warten, bis sie wieder allein waren.
Die Stimmung verstärkte ihr Gefühl, dass heute über allem ein Schatten lag, die dunkelsten Stellen erschienen ihr undurchdringlich schwarz. Ein alarmierendes Kribbeln signalisierte ihr, dass sie verfolgt wurden. Annabellas Nervosität steigerte sich nach einigen Adrenalinschüben zu Paranoia. Sie versuchte, die Angst anzunehmen und so unter Kontrolle zu bringen, dass sie klar denken konnte. Die Angst führte zusammen mit den Schmerzen der letzten Nacht dazu, dass ihre Muskeln und Gelenke sich bitter beklagten, aber das Ballett hatte sie gelehrt, gute von schlechten Schmerzen zu unterscheiden. Schlechter Schmerz bedeutete, verletzt zu sein. Guter Schmerz trieb einen zu Höchstleistungen an. Dies waren gute Schmerzen, erdende Schmerzen; sie durfte sich nicht noch einmal auf Wolf einlassen.
Sie wusste, dass sie anderen begegnen würden, die Custo glichen. Sie nahm an, dass sie sie bitten wollten, ihnen bei ihrem nächsten Versuch zu helfen. Die Vorstellungssaison begann in ein paar Tagen, und diesmal wollte sie es richtig machen. Sie würden um Hilfe bitten, einen Plan schmieden und den Wolf loswerden.
Der Tag erforderte Eigeninitiative und Handeln. Custo und Adam sahen allerdings aus, als führen sie zu einer Beerdigung.
»Will mich keiner von euch einweihen?«, fragte sie leichthin, um der drückenden Stimmung etwas entgegenzusetzen.
Nach der schrecklichen Vorstellung gestern Abend und nachdem sie beinahe auf Wolf hereingefallen war und freiwillig mit ihm gegangen wäre, konnte sie keine Geheimnisse ertragen.
Custo blickte über seine Schulter zu ihr nach hinten. »Es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen musst.«
Machogehabe machte sie immer wütend. Sie reagierte etwas zickig. »Ich muss wissen, was vor sich geht.«
Aber Custo wandte sich abrupt zu Adam um. »Nein, da drüben. Ich spüre ihn weniger als einen Block von uns entfernt.«
Er ignorierte sie. Noch nicht einmal vor einer Stunde war er in ihr gewesen und jetzt weigerte er sich, ihr zu antworten.
Adam drosselte die Geschwindigkeit bis auf Schritttempo und blickte zu Custo. »Bist du bereit?«
Adam ignorierte sie genauso.
»Ich will, dass sich jemand darum kümmert«, erwiderte Custo.
Dickköpfe. »Irgendjemand muss mich jetzt informieren oder … « … oder sie wusste nicht, was sie dann tun würde, aber es würde äußerst unangenehm für alle werden.
»Du weißt es bereits, Annabella«, sagte Custo besänftigend. Dieser unpersönliche Ton gefiel ihr nicht. Das war nicht der Mann, der gerade Bett und Körper mit ihr geteilt hatte. Er fuhr fort: »Man hat mich aufgefordert, mich mit einigen anderen von meiner Art zu treffen. Ich erhoffe mir von ihnen ein paar Informationen zum Umgang mit dem Wolf.« Zu Adam gewandt sagte er plötzlich: »Verdammt! Hier!«
»Ich sehe nichts«, entgegnete Adam, hielt jedoch in der zweiten Reihe.
Annabella spähte aus dem Fenster, obwohl sie nicht wusste, wonach sie suchte. Keine große Kirche zu sehen, lediglich eine Straße in Manhattan, in der morgendliches Geschäftstreiben herrschte. Der bewölkte Himmel sah ebenso eisig aus, wie sich die Luft anfühlte. Unregelmäßige Gebäude säumten den Bürgersteig, einige breit und eckig mit kleinen Geschäften darin – Café, Feinkostgeschäft, Reinigung – , während andere in den Himmel hinaufragten, wo sie beinahe die tief hängenden Wolken berührten. Die Straße wirkte abweisend, der Himmel bedrohlich und die Kombination aus beidem wölfisch.
Sie zog die Jacke dichter um sich. »Steckt ihr in Schwierigkeiten?«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wurde ihr ungutes Gefühl Gewissheit.
Er steckte in Schwierigkeiten und das war ihre Schuld.
Wegen der Vorstellung. Wenn er für die Katastrophe von gestern Abend bestraft werden sollte, war sie froh, jetzt hier zu sein. Custo hatte sein Bestes getan. Sie hatte versagt. Sie war so in dem Augenblick gefangen gewesen, dass sie nicht begriffen hatte, was vor sich ging. So war Wolf entkommen. Wenn irgendjemand sich für das Desaster verantworten musste, dann sie.
Custo stieg aus dem Wagen, ohne zu antworten. Oder sie überhaupt anzusehen. Das musste es sein; sie hatte ihn in Schwierigkeiten gebracht. Gut, dann musste sie es wieder in Ordnung bringen.
Zusammen mit Adam, der den
Weitere Kostenlose Bücher