Zwielichtlande
pulsierten schwarze Schatten.
Annabella stockte das Blut in den Adern.
Das Lächeln erreichte seinen grotesken Höhepunkt. »Du kannst mir nichts antun«, triumphierte sie.
»Wollen wir wetten?« Custo trat vor.
Von hinten kreischte Zoe. »Das ist meine Schwester!«
Custo blieb erneut stehen. »Lass Abigail los. Sie ist es nicht wert. Ihr Körper ist verbraucht, sie wird bald sterben.«
Annabella erschauderte. Sie spürte die Angst heftig und schneidend in sich, denn auf einmal begriff sie. Vorher hatte Wolf einfach irgendeine Gestalt angenommen, wie die des Soldaten oder die von Jasper, jetzt nahm er den gesamten Körper in Besitz , er teilte ihn mit der alten Frau. Wie war offensichtlich: Adam hatte gesagt, die Schatten in Abigail bewirkten einen Sturm in ihren Augen. Jetzt war Abigail erfüllt von dem Schattenwolf, ihr finsterer Blick gierig wie bei einem Raubtier und … unnatürlich.
Die Vereinigung war falsch, aber sie konnten nichts dagegen tun. Mit jeder Verletzung, die sie Wolf zufügten, verletzten sie zugleich die Frau, die nach Zoes Aussage bereits krank und schwach war. Zoe hatte sie beschuldigt, ihre Schwester zu töten; dieser Vorwurf schien völlig berechtigt.
Annabella kämpfte gegen eine Welle von Übelkeit an. Sie dachte an ihre Mom und ihren Bruder, die zu Hause in Sicherheit waren. Hätten Custo und Adam an ihre Tür geklopft, sie hätte sie ebenfalls verrammelt.
»Ja, die Verbindung von Schattenwesen und sterblichem Körper ist weniger befriedigend, als ich es mir erhofft hatte« – energisch legte die alte Frau den Kopf auf eine Seite; sie schniefte und zog die Nase hoch – »aber dennoch … mächtig.«
Sie hob eine knochige Hand und streckte sie aus. In ihrem Handteller sammelte sich Licht, während sich ihre Augen noch stärker verdunkelten.
Die Magie pulsierte in Annabella, lief flirrend über ihre Haut, lockerte ihre Gelenke und Muskeln und verschaffte ihren Gliedern Erleichterung. Ihr Innerstes zog sich vor Freude zusammen. Das Gefühl war falsch. Sie wollte so nicht empfinden, nicht hier, nicht jetzt. Nicht bei ihm .
Die Magie in ihr reagierte dennoch: Es war eine Möglichkeit. Eine Gelegenheit. Mit ihrer Hilfe hatte sie mit ihrem Körper und ihrem Geist eine Geschichte gewoben. Annabella gelang es nicht, den Blick von dem Schimmer über der Handfläche der Frau abzuwenden.
Wolf konnte von Natur aus die Gestalt wandeln, aber auch nicht mehr als das. Er konnte nicht zwischen den Welten hin- und herwandern, nicht etwas erschaffen oder sehen oder bewirken wie Leute in der sterblichen Welt, wie sie und Abigail. Aber jetzt hatte Wolf einen Zugang zu sterblicher Macht gefunden; sie hatten ihn direkt hier zu Abigails Türschwelle geführt.
Der Wolf, korrigierte sich Annabella. Nicht Wolf. Er hatte bereits genug Macht über sie.
Annabella stellte sich auf die Zehenspitzen, um Custo ins Ohr zu flüstern. »Können wir ihn zurück in die Schatten treiben?«
Custo schüttelte knapp den Kopf. »Er ist in ihrem Körper verankert. Bis sie stirbt, ist das sein Schutz.«
Annabella musterte den gequälten Gesichtsausdruck der Frau, dann wandte sie den Blick ab. »Das ist kein Schutz, sondern eine Vergewaltigung.«
Sie hatte zugelassen, dass dieses finstere Wesen sie berührte, mit ihr tanzte, ihre Fantasien teilte. Die Erinnerung war ebenso widerlich wie demütigend, sie reichte, um sie wirklich wütend zu machen.
Annabella trat hinter Custo hervor und setzte ihre Angst und ihre Wut in Handlung um. »Du hast gesagt, du würdest niemandem etwas antun.«
»Du hast gesagt, du würdest mitkommen«, jammerte die alte Frau. Das Licht in ihrer Hand löste sich in Luft auf. Ihr Arm sank wie ein Stein in ihren Schoß, die Handfläche war von Blasen übersät.
»Befreit meine Schwester von diesem Monster!« Zoe klang hysterisch.
»Ich gehe, wenn Annabella mitkommt«, bot der Wolf an und lachte, wobei er die Zähne bleckte.
Annabella erschauderte und wich zurück.
»Du kannst sie nicht haben«, ging Custo dazwischen. »Das lasse ich nicht zu.«
»Das entscheidest du, Annabella«, sagte der Wolf, »nicht er. Komm mit mir und mach dem ein Ende. Ich kann dich auf eine Art glücklich machen, die hier niemand beherrscht. Du besitzt einen Körper, der dazu gemacht ist, Magie zu spinnen. Ich bestehe aus Magie. Komm mit mir.«
Eine Welle der Zustimmung strömte durch Annabellas Körper – oh, ja! Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie über das Angebot nach, aber ein Blick auf das schwarze
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