Zwillingsblut (German Edition)
zugefügt hatte und entschied, dass kein Verband nötig war.
»Lass mich nicht allein!«, bat Melanie und kuschelte sich in Sofias Arme. »Lass mich nie wieder allein!«
»Psst …«, Sofia strich ihr tröstend über die blonden Haare und versuchte den verlockenden Blutgeruch zu ignorieren, der von der Wunde hinauf in ihrer Nase prickelte. »Ich war doch nur einen Tag weg!«
Melanie setzte sich auf und starrte sie vorwurfsvoll an. »Zu lange!«
Sofia schwieg.
»Ich bringe mich um, wenn du mich allein lässt!«, beschloss Melanie wie ein trotziges Kind und rollte sich wieder in Sofias Schoß zusammen.
Bitterkeit brannte in Sofia auf und fraß sich in ihre Worte. »Das wäre dann der sechste Versuch?«
»Siebte«, korrigierte Melanie und hielt Sofia ihren Arm entgegen.
Sofia konnte das Blut hinter Melanies Haut pulsieren sehen, konnte spüren, wie die Flüssigkeit sich in den Zellen ausbreitete, sich austauschte und zirkulierte, um das unwillkommene Leben in Melanies Körper zu erhalten.
Sofias Magen krampfte und ihr Mund wurde trocken. »Soll ich das für dich übernehmen? Ich mache das mit Sicherheit richtig!« Sofia erschrak über ihre eigene Stimme. Die Stimme einer Fremden, einer gierigen, hungrigen Fremden.
Melanie sah ihre Schwester erstaunt an und ihre Blicke trafen sich. Der eine verzweifelt und verloren, der andere wütend und vor Hunger brennend.
»Was ist mit dir passiert?« Melanie setzte sich auf. Zum ersten Mal seit langer Zeit schien sie Interesse an einem Geschehnis außerhalb ihrer kleinen, selbsterschaffenen Welt zu haben.
Sofia las Angst in ihrem Blick. Aber nicht Angst vor ihr, sondern Angst um sie. Liebe zu ihrer Schwester wallte in Sofia, und mischte sich mit dem Hunger in ihrem Inneren, um ihn zu verstärken. Einmal waren sie ein Fleisch gewesen, ein Blut, und ihr unsterblicher Körper wollte, dass es wieder so wurde. Sofia versuchte, sich an ihrer Liebe festzuhalten, doch ihr Körper schrie nach Melanie, wollte sie sich einverleiben. Sofias Umwelt schien zu schrumpfen, bis nur noch Melanie existierte. Alles andere verschwand im Hintergrund, eine dumpfe Katatonie an verwischten Eindrücken. Ohnmächtige Wut auf den unbekannten Vampir wallte in der Vampirin auf und es gelang ihr, sich an ihrem Hass festzuhalten. Sie schob ihre Schwester von sich und stand auf.
Als sie an der Tür war, murmelte Melanie: »Vampir!«
Sofia verharrte reglos. Ihre Hand auf halbem Weg zur Klinke. Melanie stand auf und näherte sich ihr. Sofia konnte ihre Wärme und Menschlichkeit hinter sich fühlen.
»Ja!«, gestand sie und schloss die Augen. In Gedanken ging sie alle Möglichkeiten durch, die ihr blieben. Sie konnte ihre Schwester ebenfalls zu einem Vampir machen, sie konnte sie töten und alles hinter sich lassen oder sie konnte jetzt einfach gehen.
Melanie nahm ihr die Entscheidung ab, legte ihr ihre Hand auf die Schulter und drehte Sofia zu sich um. Sofia öffnete die Augen und sah gerade noch, wieMel ihren Kopf schüttelte. Ohne es zu beabsichtigen, hatte Sofia ihren Gedankengang laut ausgesprochen.
»Das dritte ist keine Möglichkeit!«, erklärte Melanie. Ihre Augen waren so klar wie selten. »Ich kann ohne dich nicht leben, Sofia. Ich kann es einfach nicht! Ohne dich bin ich unvollständig. Wenn du gehst, wird die Welt mit einem Schlag leer und leblos. Ich fühle nicht bis zu dem Moment, an dem du wieder da bist. Und ich kann nicht ewig Leben, weil du nicht ewig bei mir sein kannst. Selbst ein einziges Menschenleben ist eine Qual für mich. – Ohne dich!« Melanie hatte ausgesprochen, was sie und Sofia schon lange gewusst aber nie ausgesprochen hatten. Tatsachen, nicht einfache Gefühle; etwas, was weit über bloße Empfindungen hinausging.
»Sofia!«, flehte Melanie. »Ich bitte dich, tue es!« Sie streckte Sofia ihren Unterarm entgegen. »Ich wünsche es mir!«
Sofia schluckte und versuchte das Blut ihrer Zwillingsschwester zu ignorieren, das nach ihr schrie.
Warum nur hast du das nicht schon vorher geahnt?
Eine kleine Stimme in Sofia weinte, weil sie es von Anfang an gewusst hatte und trotzdem zu ihrer Schwester gegangen war.
Mit einem dumpfen, Schicksalsergebenen Gefühl beugte sich Sofia vor und legte ihren Mund auf Melanies Wunde. Diese zuckte nicht einmal zusammen, als sich Sofias Eckzähne länger wurden und sich sanft aber bestimmt in den Schnitt bohrten.
Melanie schrie leise auf, als Sofia zu trinken begann. Aber es war ein Schrei der Erlösung, der Ekstase. So als hätte sie
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