Zwischen den Sternen
mich von meinen eigenen Sorgen ablenkte. Ich hörte zu, wie er redete, ohne mir allzu viele Gedanken über das zu machen, was er sagte.
Am nächsten Tag flog Vater mit dem Versorgungsschiff San Joaquin ab, gemeinsam mit Manfred Trujillo und ein paar anderen Kolonisten, die als Repräsentanten von Roanoke unterwegs waren, um politische und kulturelle Angelegenheiten zu regeln. Zumindest war das die offizielle Version. In Wirklichkeit jedoch - zumindest hatte es Jane mir so erklärt - wollten sie versuchen, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, was irgendwie mit Roanoke zusammenhing, und herauszufinden, wer uns angegriffen hatte. Vater und die anderen würden eine
Woche brauchen, um die Phoenix-Station zu erreichen, dann würden sie vielleicht einen Tag lang dort bleiben und eine weitere Woche für den Rückflug benötigen. Das heißt, für alle anderen würde es eine Woche dauern - für meinen Vater gab es vielleicht gar keine Rückkehr, wenn der Untersuchungsausschuss zu einem ungünstigen Urteil gelangte.
Wir gaben uns alle Mühe, nicht über diesen Fall nachzudenken.
Drei Tage später versammelten sich die meisten Bewohner von Roanoke auf dem Anwesen der Guginos, um von Bruno und Natalie, Maria, Katherina und Enzo Abschied zu nehmen. Sie wurden begraben, wo sie gestorben waren. Jane hatte mit anderen Helfern die Raketentrümmer weggeräumt, die die Familie erschlagen hatten, frische Erde aufgeschüttet und die Stelle mit Grassoden bedeckt. Ein Stein war aufgestellt worden. Irgendwann würde man ihn vielleicht durch einen größeren Grabstein ersetzen, doch vorerst war es ein kleiner und einfacher Stein. Darauf standen der Familienname, die Vornamen der Familienmitglieder und ihre Lebensdaten. Das erinnerte mich an meinen eigenen Familiengrabstein, unter dem meine biologische Mutter begraben war. Irgendwie hatte das für mich etwas Tröstliches.
Magdys Vater, der ein guter Freund von Bruno Gugino gewesen war, hielt eine Rede, in der er mit anrührenden Worten an die gesamte Familie erinnerte. Dann trat ein kleiner Chor auf, der zwei von Natalies Lieblingschorälen von Zhong Guo sang. Magdy sprach kurz und stockend über seinen besten Freund. Als er sich wieder setzte, nahm Gretchen ihn in Empfang
und hielt ihn in den Armen, während er schluchzte. Schließlich standen wir alle auf. Einige Leute beteten, und andere hatten nur schweigend die Köpfe gesenkt, als sie an die lieben Menschen dachten, die von ihnen gegangen waren. Dann löste sich die Versammlung auf, bis nur noch Gretchen, Magdy und ich vor dem Grabstein standen.
»Er hat dich geliebt, weißt du?«, sagte Magdy unvermittelt zu mir.
»Ich weiß.«
» Nein «, gab Magdy zurück. Er wollte mir begreiflich machen, dass er nicht nur irgendwelche tröstenden Worte von sich gab. »Ich meine nicht so, wie wir sagen, dass wir irgendwas lieben oder irgendwelche Menschen lieben, die wir einfach nur mögen. Er hat dich wirklich geliebt, Zoë. Er war bereit, sein ganzes Leben mit dir zu verbringen. Ich weiß nicht, wie ich es dir klarmachen soll.«
Ich zog meinen PDA hervor, öffnete die Datei mit Enzos Gedicht und zeigte es Magdy. »Ich weiß es«, sagte ich.
Magdy las das Gedicht und nickte. Dann gab er mir den PDA zurück. »Ich bin froh, dass er es dir geschickt hat. Manchmal habe ich mich über ihn lustig gemacht, weil er diese Gedichte für dich geschrieben hat. Mehr als einmal habe ich zu ihm gesagt, dass er sich zum Idioten macht.« Darüber musste ich lächeln. »Aber jetzt bin ich froh, dass er nicht auf mich gehört hat. Ich bin froh, dass du es bekommen hast. Weil du jetzt weißt, wie sehr er dich geliebt hat.«
Nach diesem letzten Satz brach Magdy zusammen. Ich ging zu ihm, nahm ihn in die Arme und ließ ihn weinen.
»Er hat auch dich geliebt, Magdy«, sagte ich zu ihm. »Genauso wie mich. Du warst sein bester Freund.«
»Ich habe ihn auch geliebt«, sagte Magdy. »Er war mein Bruder. Ich meine, nicht mein richtiger Bruder …« Sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er sich über sich selbst ärgerte, weil er sich nicht so ausdrücken konnte, wie er wollte.
»Nein, Magdy«, sagte ich. »Du warst sein richtiger Bruder. In jeder Hinsicht, die wirklich zählt, warst du sein Bruder. Und er wusste, dass du ihn genauso gesehen hast. Und dafür hat er dich geliebt.«
»Es tut mir leid, Zoë.« Magdy starrte auf seine Füße. »Es tut mir leid, dass ich Enzo und dir ständig Schwierigkeiten gemacht habe. Dafür möchte ich mich
Weitere Kostenlose Bücher