Zwischen Ewig und Jetzt
Abdrücken von Steinchen auf der Haut. Den Rücken meiner
Muubaa
-Lederjacke zieren jetzt einige Kratzer.
Auf dem Parkplatz zum Naturschutzgebiet stand ein schwarzes Mercedes-Coupé mit getönten Scheiben, aber davon gibt es ja wohl haufenweise, oder? Nicht mal das konnte uns stören. Vor Nikis Haustür waren wir kaum zu trennen. Bevor wir es dennoch taten, versprach er mir, diese Experimente mit Toten zukünftig zu lassen. Ich schwebte förmlich nach Hause – und habe jetzt jede Menge blaue Flecken.
Auf dem Weg zur Schule muss ich mich beherrschen, nicht zu summen. Und Niki nicht aufzufressen, sobald ich ihn sehe.
»So stürmisch heute?«, grinst er, nachdem er wieder atmen kann.
»So glücklich«, erwidere ich. Hand in Hand gehen wir in die Schule, sogar bis zum Klassenraum. Soll man uns doch sehen! Soll man uns
gerade
sehen!
Die Einzige, die anscheinend fest entschlossen ist, meine ansonsten brillante Laune zu zerstören, ist Mrs Henschel. Sie nimmt mich häufig dran und lässt mich rumstottern. Und nach dem Unterricht soll ich bitte noch mal kurz dableiben, weil sie mit mir sprechen muss.
»Und nur mit Julia, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr Galanis«, sagt sie, als Niki sich so lange wie möglich im Klassenzimmer herumdrückt und zum siebten Mal seine Tasche sortiert.
»Ich warte vor der Schule«, raunt er mir zu. »Goodbye, Mrs Henschel.«
»Good bye, Niki.« Zu mir ist sie nie so nett. Und auch jetzt will sie mich nur über meine Hausaufgaben und meine »überraschende Verbesserung« ausfragen. Meine Lehrerin freut sich nicht darüber, sie glaubt mir nicht! Vor allem die Beherrschung der Modalverben macht sie misstrauisch, und unser Gespräch ist also mehr ein Test als alles andere.
Den ich bestehe. Als ich endlich gehen kann, lächelt Mrs Henschel, der alte Drache, mir sogar zu. Mir!
Na endlich. Ich raffe meine Tasche zusammen, haste nach draußen – und pralle hart gegen Felix. Hätte er mich nicht an den Armen festgehalten, wären wir wohl beide die drei Stufen in den Flur runtergefallen.
»Oh«, mache ich, und er sagt gar nichts.
Hält mich an den Oberarmen fest und sieht mich nur an.
Ich mache mich frei, trete einen Schritt zurück. Mein Herz klopft, wohl mehr aus Schreck als aus anderen Gründen. Ich überlege fieberhaft, stoße dann ein kurzes »Hallo« hervor und drücke mich überraschend schnell an ihm vorbei. Springe die drei Stufen runter und eile durch die Halle. Mein Stolz verbietet mir, allzu auffällig zu rennen, was mich wahrscheinlich aussehen lässt wie eine dieser Athleten, die immer so verkrampft mit dem Hintern wackeln. Auf jeden Fall ist es anstrengend, und mir wird schmerzhaft klar, warum Gehen eine olympische Disziplin ist.
»Julia, warte!«, höre ich seine Stimme. Ich werde nur noch schneller und habe es schon aus der Halle raus und vor die Schultür geschafft, als Felix mich am Arm packt und herumreißt.
»Warte doch mal.«
Es reicht. Ich mache mich ruckartig los. »Was soll denn das? Immer dieses Festhalten. Nehmen euch eure Väter irgendwann mal beiseite und zeigen euch, wie man Frauen anständig am Arm packt, oder liegt das in den Genen?«
Felix steht der Mund offen. Ich will mich schon wegdrehen, aber er fasst sich schnell. »Mein Opa.«
»Was?«
»Bei mir war’s mein Opa. Kam in derselben Lektion vor, in der man lernt, seine Freundin an den Haaren ins Tipi zu schleifen.«
Wider Willen muss ich lächeln.
»Ich wollte dich nur fragen, ob wir uns nicht mal, ich weiß nicht, sehen können oder so.« Felix steckt die Hände in die Hosentaschen. »Nur so. Eis essen«, fügt er hinzu.
Mir wird heiß und kalt gleichzeitig. Ich mache den Mund auf, mache ihn wieder zu. Doch ich komme um eine Antwort herum, denn Felix wird abgelenkt. Blickt nicht mehr mich an, sondern sieht mir stattdessen über die Schulter.
Ich drehe mich ebenfalls um. Hinter uns, vielleicht zwanzig, dreißig Meter entfernt, steht eine Gruppe Menschen, Niki in der Mitte. Konrad, Lars, Tobias und noch zwei Jungs aus unserer Klasse umringen ihn, dazu noch Anni. Das Mädchen neben ihr ist Vanessa, das Mädchen, deren Vater gestorben ist.
Wir sind, wie gesagt, die Letzten. Die anderen Schüler sind schon weg, der Lehrerparkplatz liegt auf der anderen Seite des Gebäudes, beim Hauptausgang. Da ist auch die Wohnung des Hausmeisters. Ich überschlage in Gedanken, wie schnell ich dort sein kann. »Was wollen die?«, frage ich Felix und hoffe inständig, dass er es nicht weiß.
Felix steht noch
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