Zwischen Ewig und Jetzt
Lächeln nicht mehr aus meinem Gesicht bekam. Gestern ist wahnsinnig lange her.
»Ihr habt es also geschafft? Seid tatsächlich an die Sachen von deinem Opa gekommen?«
»Ja. Justin hat sie letztendlich freigegeben. Dachte wohl, es gäbe nichts mehr zu holen.« Meine Hand, mit der ich gerade Kaffeemehl in den Filter schaufele, erstarrt. Apropos nichts mehr zu holen … »Warte. Ich muss dir was zeigen.« Ich lasse den Kaffee im Stich und stürze in mein Zimmer. Hole eins der Notenbücher hervor. »Das musst du sehen«, sage ich, steige über ein paar Stapel und die rote Fußbank, die Opa gehörte, und mache uns Platz vor dem Sofa.
Felix setzt sich neben mich auf den Boden.
»Das habe ich gestern erst entdeckt«, erkläre ich, während ich das Buch aufschlage. »Siehst du?«
Felix pfeift durch die Zähne. »Er hat was reingeschrieben. Nein, warte: reingeklebt. Hier auch. Und hier: Bist du dieses Baby auf dem Foto?«
Ich beuge mich näher darüber. »Nein, mein Vater, glaube ich.«
Felix blättert um. »Ein Brief. Ein Dankesbrief von einem Musiktheater. Hier noch einer. Dein Opa hatte anscheinend richtige Fans.«
Wir sehen uns eine Weile stumm die Sammlung an, die zwischen den Seiten der Partitur versteckt ist. Es wird schnell klar, dass nichts ordentlich, nichts chronologisch geordnet ist: Anscheinend hat Opa alles, was er irgendwann einmal aufgehoben hat, eines Tages genommen und eingeklebt. Aus welchem Grund auch immer. Vielleicht wollte er sich erinnern, vielleicht auch verstecken. Vielleicht wollte er seine Vergangenheit, die immer mehr verschwand, mit dem verknüpfen, was ihm bis zuletzt geblieben war: seiner Musik. Ich werde es nie erfahren. Weiß nur, dass er davon gesprochen hat, damals auf seiner Beerdigung: von der
Partitur seines Lebens
, die ich finden müsse.
»Gibt es davon noch mehr?«, fragt Felix, als wir noch nicht mal die Hälfte des Buches durchgesehen haben.
»Noch fünfzehn Stück. Liegen alle unter meinem Bett.«
Wieder pfeift Felix durch die Zähne. »Dann muss es darunter sein. Das Testament. Oder zumindest ein Hinweis darauf.«
Wir sehen uns an.
»Vielleicht wäre es gut, wenn du uns noch den versprochenen Kaffee kochst«, sagt Felix. Keine Frage, dass er mir hilft.
Ich stehe auf und balanciere über die Papierstapel.
»Und bring die anderen Bücher auch gleich mit«, ruft er mir nach.
Zwei Stunden später, und wir brauchen eine Pause.
Stöhnend legt Felix Buch Nummer Zehn beiseite. »Dein Opa hatte ein bewegtes Leben.«
»So langsam habe ich auch den Eindruck. Vor allem die vielen Verehrerinnen …«
»Krass, wirklich krass. Hat wohl jede Musikrichtung seine Fans.« Er schüttelt den Kopf. »Wann kommt eigentlich deine Mutter? Ich meine, bis wann müssen wir das Chaos hier beseitigt haben?«
»Die kommt heute nicht, bleibt bei Klaus. Aber wenn morgen Mittag noch ein Fitzelchen Papier hier zu sehen ist, dann war’s das mit mir.« Außerdem musste ich ihr praktisch einen Blutschwur leisten, dass
dieser Niki
hier nicht übernachtet. Was er natürlich trotzdem getan hätte, wenn nicht … Wenn der Tag anders verlaufen wäre. Ich will nicht daran denken. »Soll ich noch einmal Kaffee kochen?«, frage ich, schon um mich abzulenken.
»Bloß nicht.« Felix verzieht das Gesicht. »Deine Zukunft liegt nicht in der Gastronomie, soviel ist sicher.«
Ich muss lachen. »So? Wo liegt denn meine Zukunft?«
Er blickt mich ernst an. »Wenn ich das mal wüsste.«
Die Stimmung wechselt schlagartig, und ich muss mich zwingen, mich von seinen graublauen Augen loszureißen.
»Du und Niki«, fragt er schließlich und lässt mich wieder aufblicken. »Seid ihr jetzt zusammen? Ich meine, so richtig fest?«
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Denke an eine Weide, den Wind, den blauen Himmel, der so unendlich groß war, dass er bis zu Niki und mir hinabzureichen und uns zuzudecken schien. Obwohl ich nichts davon auch nur andeute, ahnt Felix es wohl auch so.
»Oh«, sagt er und schlägt die Augen nieder.
Es wird eine kurze Weile still.
»Und du? Du bist jetzt mit Anni zusammen?« Meine Stimme soll neutral klingen, hört sich aber hohl an. Ich kann nur hoffen, dass das nicht so auffällt.
Er ist überrascht. »Anni? Wer hat dir denn das erzählt?«
Ich muss kurz überlegen. Ach ja: »Erik«, antworte ich ihm.
»Erik? Na, der muss es ja wissen. Nein, ich bin nicht mit Anni zusammen. Warum auch? Ich war einmal mit ihr zusammen, kurz. Das hat gereicht. Ich habe aus meinen
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