Zwischen Ewig und Jetzt
keiner mehr nach seiner Beerdigung gesprochen hat. Aber das liegt wohl daran, dass ich sie eben nur hören kann, wenn ich in der Nähe ihrer Körper bin. Oder«, er verzieht ironisch den Mund, »ihre Körper in meiner Nähe. Und einen Meter fünfzig tief unter einem Haufen Erde zu liegen, das reicht anscheinend als Entfernung.« Er sieht nicht hoch zu mir. »Kann schon sein, dass sie noch da sind. Kann sein, dass andere sie besser verstehen.«
Hört sich für mich so an, als rede er über jemand Bestimmten. Jemanden, den er kennt. Doch noch bevor ich ihn danach fragen kann, hebt er den Kopf.
»Aber das reicht mir auch, Julia. Das heute war eine Ausnahme, ein Experiment, mehr nicht. Ich will gar nicht mehr mit ihnen quatschen als unbedingt nötig. Und ich will das alles auch gar nicht so genau wissen, verstehst du? Schließlich muss ich auch noch damit
leben
!« Das letzte Wort sagt er mit so einer Wucht, so einer Sehnsucht, dass mir ein Schauer über die Arme läuft.
Ja, das kann ich verstehen, diesen Hunger. Den Tod hinter sich zu lassen und nur noch da zu sein, jetzt, im Augenblick. »Ich will aber abgeholt werden, von Engeln«, bestehe ich trotzig auf meinem Kinderglauben. »Ich will, dass jemand da ist. Ich will nicht alleine sein.«
Niki lacht auf, und es klingt bitter. »Klar willst du das. Das wünsche ich mir auch. Aber so ist es nicht.« Wieder deutet er mit seinem Stock. Auf die Weide, den Zaun, die Bäume, die Natur um uns herum. »Das ist alles, was wir jetzt haben. Und es ist alles, was wir in Zukunft haben werden.«
Gerade eben kommt mir das ein bisschen wenig vor.
»Sie sind um uns herum, ständig. Wir sind Teil von ihnen, so wie sie Teile von uns sind.« Niki sagt es leise, mehr zu sich selbst.
Das ist gruselig. Und tröstlich zugleich. Allerdings hoffe ich doch schwer, dass er das nur metaphorisch meint.
»Und wie viele Teenager«, unterbricht Niki schließlich meine Gedanken, und seine Stimme klingt müde, »kennst du, die sich in unserem Alter ständig, aber auch ständig mit dem Tod beschäftigen?«
Ich muss lächeln. »Die Vampirliebhaber nicht mitgezählt?«
Er runzelt in gespieltem Ernst die Stirn. »Liebhaber? Es gibt tatsächlich Menschen, die Vampire lieben?«
Aha, er kennt die Bücher also nicht. »Allerdings. Einen Haufen. Ohne die bleiben allerdings nur zwei«, kläre ich ihn auf. »Du und ich.«
Wir grinsen uns an. Wind kommt auf, irgendwo weiter weg knackt ein Ast. Es rauscht in den Baumkronen um uns herum, und ich fröstele.
»Ist dir kalt?«, fragt Niki.
Ja, ist es.
Ohne weiter darüber nachzudenken und ohne zu antworten knie ich mich über ihn, auf die Wanne, mein Gesicht ist ihm zugewandt. Niki schlägt die Arme um mich, sieht hoch. Ich versinke wie stets in seinen Augen, bevor wir uns küssen. Und weiter küssen. Der Wind in meinem Haar spielt, in meiner Kleidung. Und dann ist er mit einem Mal auf meiner nackten Haut, streichelt mich, wispert mir ins Ohr. Ich taumele, taumele mit Niki. Sehe die Wanne neben mir aufragen wie ein Schutzschild, spüre den harten Boden unter meinem Rücken. Noch immer ist da der Wind, der Wind und noch ein anderes Flüstern. Und ich schwöre: Als Niki über mir ist, in mir, ich über seinen nackten Rücken streichele, fühle ich etwas. Etwas wie … Flügel? Ein Schaudern läuft durch meinen Körper, dann bäume ich mich auf. Wir sind alle Engel, wenn wir lieben. Nur die Berührung mit der Erde macht uns sterblich.
13 . Kapitel
E s war ganz anders als mit Felix. Völlig anders. Und jetzt gibt es auch keinen Schatten eines Zweifels mehr darüber, ob ich Niki nur benutze. Das tue ich nicht. Niki zu spüren, ihn zu riechen, anzusehen, fühlt sich so richtig an. Wie nach Hause zu kommen. Und das liegt eindeutig im Himmel, also ist Niki doch ein Engel. Ich hatte recht und muss beim Gedanken daran lächeln.
»Was ist denn so witzig?«, fragt meine Mutter, die sich Kaffee einschenkt.
»Nichts.« Ich grinse, während ich mir ein dickes Nutellatoast schmiere, kann es aber einfach nicht abstellen.
Der Wind auf meiner Haut, Nikis Hände, seine Lippen. Wenn wir nun erwischt worden wären! Wenn nun Spaziergänger unterwegs gewesen wären oder Reiter! Kichernd wie Kinder haben wir unsere Klamotten zusammengesucht, sind nicht mal hastig hineingeschlüpft. Konnten uns nicht sattsehen aneinander und wären wohl am liebsten so geblieben, wie Gott uns geschaffen hat. Zogen uns trotzdem an und liefen Arm in Arm zurück, mit Gras im Haar und
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