Zwischen Ewig und Jetzt
Bisschen.
Wir mussten alles zurücklassen, wie auf der Flucht. Selbst meinen Opa. Er hat noch einige Zeit in einem Heim in der Nähe von Frankfurt gelebt, obwohl er das schon nicht mehr wusste: Er hat Alzheimer. Und da er zu teuer geworden ist, haben wir ihn hierhergeholt, in ein städtisches Heim am anderen Ende der Stadt. Wegen ihrer Jobs schafft meine Mutter es kaum, ihn zu besuchen, aber sie fährt jeden Freitagabend hin und bringt ihn ins Bett – komme, was wolle. Er erkennt sie nicht. Von mir weiß er schon seit über einem Jahr nicht mehr. Bisweilen fragt er noch nach meinem Vater, wenn er überhaupt redet: Sein Sohn scheint der Einzige zu sein, den er nicht vergessen kann.
Ich besuche ihn nicht. Niemals. Weil er mich belogen, mich verraten hat. Jetzt wird ihm das egal sein, aber ich hoffe, er hat es noch mitbekommen, am Anfang. Ich bin eben niemand, der schnell verzeiht.
Noch immer stehe ich im Flur und starre auf die Tür. Bloß nicht depressiv werden. Schließlich habe ich mich schon auf meinen freien Abend gefreut.
Ich mache den Heizstrahler im Badezimmer an und lasse mir ein Bad ein. Purer Luxus. Normalerweise ist es morgens eiskalt, und ich muss mich in die Badewanne knien, den Duschschlauch hochhalten und aufpassen, dass ich das winzige Zimmer nicht unter Wasser setze. Und nicht zu nah an die schwarze, pilzige Fugenmasse komme.
Okay, es ist amtlich: Ich neige zu Selbstmitleid. Schluss jetzt. Heute ist ein Julia-Allein-Zu-Haus-Wohlfühl-Abend ohne Krokodilstränen.
Als das Badewasser perfekt ist, fällt mir der Anruf von Felix wieder ein. Ich schnappe mir ein Glas Saft, das Handy, lege beides neben die Wanne und zünde eine Kerze an. Genussvoll lasse ich mich ins Wasser gleiten. Und habe so gar keine Lust, meine Hand aus der wohligen Wärme rauszustrecken. Natürlich tue ich es trotzdem.
Felix ist nach dem ersten Läuten dran. »Was machst du? Deine Stimme hallt so.«
»Ich nehme ein Bad.«
»Mmh«, macht er, »da wäre ich gern dabei.«
»Dafür ist die Wanne aber nicht groß genug.«
»Beschreib es mir.«
»Was denn? Das Badezimmer?« Das mache ich dauernd, dieses Abwiegeln, als würde ich nicht wissen, was er meint. »Also gut.« Ich schließe die Augen. »Es ist riesig, aber trotzdem gemütlich. Der Boden besteht aus großen Marmorplatten in beige, sie sind schön warm von der Fußbodenheizung. Die Wände sind gefliest, und überall glitzern diese kleinen Mosaiksteinchen. In Gold, in Braun, in tiefem, sattem Rot. Die Wanne steht im hinteren Teil des Raums auf vier Füßen. Es gibt ein Fenster darüber, durch das ich den Sternenhimmel sehen kann …«
Felix lacht. »Es regnet. Heute gibt es keine Sterne.«
Ich mache die Augen wieder auf. »Nein. Keine Sterne.« Ich starre auf den Wäscheständer, der direkt neben der Badewanne steht, und frage mich, ob das wirklich Lügen sind, die ich erzähle. Die meiste Zeit kommen mir meine Erinnerungen viel realer vor als die Wirklichkeit.
»Außerdem meinte ich nicht das Badezimmer«, flüstert er.
»So?« Ich blinzele das Wasser aus meinen Augen. »Ich liege in der Wanne, habe massenhaft Schaum im Wasser verteilt und ich bin schon ganz verschrumpelt.«
»Selbst verschrumpelt siehst du sicher noch atemberaubend aus, meine Schöne.«
»Naja.« Irgendwie ist mir danach unterzutauchen. Kriegt man dann einen Stromschlag? Ich will es lieber nicht ausprobieren. »Und du? Was machst du?«
»Konrad ist da. Unten im Keller. Wir hören nur Musik, quatschen ein bisschen.«
»Dann will ich dich nicht länger stören.«
Sein sympathisches Lachen dringt durch den Hörer. »Was soviel heißen soll wie: Stör du mich nicht weiter, oder?«
Ich muss auch lächeln, auch wenn er das natürlich nicht sehen kann. »Gute Nacht, Felix.«
»Gute Nacht, Babe.«
Ich drücke auf Aus und lege das Handy weg, bevor ich untertauche. Hier ist das Baden vollkommen, das Wasser überall gleich und ich kann mir von unten herauf sogar den Sternenhimmel vorstellen.
Die Küche von Felix’ Eltern liegt direkt im Wohnzimmer oder das Wohnzimmer direkt in der Küche, wie man’s nimmt. Es ist auf jeden Fall eine dieser offenen Einrichtungen, bei der klar ist, dass die Hausfrau nicht oft kocht.
Felix und ich lassen uns auf die Couch fallen.
»Schick. Von hier aus könnt ihr eure Haushälterin im Auge behalten, während sie die Horsd’œuvre anrichtet.«
Felix legt den Arm auf die Lehne und sieht mir in die Augen. »Ich dachte, du könntest keine Fremdsprachen.«
»Nur
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