Zwischen Ewig und Jetzt
wegwerfende Handbewegung. »Diese Nachrichten an dich. Kinderkram. War natürlich schon lustig, als Anni mir erzählt hat, was für einen umwerfenden Effekt das Geschreibsel auf dem Laptop gehabt hat.«
Ja. Weil ich dachte, es käme von einem Geist. Wirklich umwerfend. Ich blicke zu Justin, kann aber seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Bleiben wir bei unserer lieben, ach so mitteilungsfreudigen Toten«, sagt Erik. So, wie er da auf Justins Lehne hängt, wirkt er wie ein Geier. Lauernd. Die Augen kaum mehr als Schatten. »Renate war uns wirklich keine große Hilfe. Dieses Geschrei war schon nervig.«
Was? Er kann es also auch …?
»Nein, nein. Ich habe nichts gehört«, liest er meine Gedanken, »aber es hätte doch beinah alles zunichtegemacht.«
Justin zuckt zusammen. »Wieso hätte meine Mutter beinah etwas zunichtegemacht?«
»Nun, sie war nicht besonders unauffällig. Himmel, Justin: Sie sollte deine Schwester beobachten und ihr keine Arien vorsingen. Aber wie auch immer: Gib es ihr.«
»Was?«
»Gib es ihr zurück. Es gehört ihr doch, oder?«
Zögernd greift Justin in die Tasche seines Jacketts. Natürlich trägt er einen Anzug: Wie sollte es auch anders sein. Er zieht etwas heraus, beugt sich vor und hält es mir hin: An seinem ausgestreckten Arm baumelt ein schmales, schwarzes Lederband mit einem goldenen Herzanhänger.
Mein Herz klopft. Ich strecke die Hand danach aus, nehme es. »Das hattest du mir geschenkt. Ich hab es … abgerissen«, fällt mir wieder ein. Das stimmt. Wie lange hatte ich nicht mehr daran gedacht? »Abgerissen an dem Tag, an dem …«
»Es lag in der Asche von Justins Mutter«, unterbricht mich Erik ungeduldig.
»Was?« Ich sehe zu ihm hoch.
»Er hat es in die Urne seiner Mutter gepackt. Darum mussten wir sie ja auch verbrennen lassen.«
Ich verstehe noch immer nicht.
»Himmel, Julia. Du müsstest von deinem Freund doch wenigstens in die Grundzüge der schwarzen Magie eingeführt worden sein.«
Magie? Das Wort hallt in meinem Kopf wie mein Rufen in der Eingangshalle vorhin.
»Du kannst die Toten mitnehmen, wenn du einen Gegenstand, der ihnen gehörte, oder einen Teil ihres Körpers mit dir herumträgst. Umgekehrt geht das natürlich auch: Wenn du einen Gegenstand zu ihren Körpern packst. Glaub mir: So rum kommt es noch besser.« Eine Weile lang sagt niemand von uns mehr etwas: Selbst Erik scheint in Gedanken versunken zu sein. Dann jedoch richtet er sich wieder auf. »Aber keine Sorge: Dein Bruder hat es ja wieder rausgenommen. Wir wissen, was wir wissen müssen.«
Angeekelt lasse ich das Armband auf den Tisch fallen, genau zwischen Justin und mich.
Justin zuckt zusammen.
»Du hast also«, sage ich mitleidlos und versuche, meine Gedanken zu ordnen, »deine Mutter auf mich angesetzt, um mich zu beschatten? Deine
tote
Mutter?« So hat er also von dem Testament erfahren. Mir wird schlecht.
»Aber woher wusstest du es? Dass man mit Toten reden kann? All dies Zeugs, von all dieser …« Wie hat Erik es bezeichnet? »Dieser Magie?« Ich schlage mir mit der Hand vor den Kopf. »Erik. Natürlich.« Bleibt natürlich die Frage, woher Erik das hat.
»Wir sind alte Freunde«, erwidert Justin. Endlich sagt er auch einmal was. »Haben zusammen studiert. Er wusste von meinen Schwierigkeiten mit dir und deiner Mutter. Hat mir geholfen. Es war die einzige Möglichkeit, dich im Auge zu behalten.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Einen stinknormalen Privatdetektiv wolltet ihr wohl nicht engagieren, was? Aber wie konntest du … wie konntest du sie hören? Was sie herausgefunden hat? Kannst du doch …?«
Erik schwenkt ungeduldig sein Whiskyglas. »Ich sagte doch, wir hören sie nicht. Aber da gibt es jemanden, der das kann …« Mehr sagt er nicht dazu. Er richtet sich auf. »Wie auch immer: Wir haben, was wir wollten.
Müssen dich nur noch aus dem Weg räumen, um es zu holen. Denn freiwillig gibst du es uns ja doch nicht, oder?«
»Mich … aus dem Weg …« Ich schlucke.
»Nur bildlich gesprochen.« Ich kann Eriks breites Grinsen praktisch in seiner Stimme hören. »Nicht wirklich. Ihr wollt das Testament nächste Woche eurem Anwalt übergeben. Ja, das weiß ich: Du hast es in der Schule erzählt. Anni hat euch gehört. Wir wissen auch, dass deine Mutter nicht da ist: Das wiederum hat Justin beobachtet. Die perfekte Gelegenheit also, um die Dokumente jetzt«, und er betont das
jetzt
mit einem Seitenblick auf Justin, »zu holen. Du, liebe Julia, bleibst solange
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