Zwischen Ewig und Jetzt
hält und sein Handy eingeschaltet lässt, legen wir auf.
Was soll’s. Bringen wir es hinter uns.
Auf dem Weg zu Anni beschleicht mich dann doch ein merkwürdiges Gefühl. Wahrscheinlich liegt es an der Angst, die ich in Annis Haus hatte. Der Warnung von Tom
(fernhalten!)
. Oder es liegt am Wetter: Wie damals weht ein stürmischer Wind, der die Bäume am Weg schüttelt und kleinere Äste herunterregnen lässt. Dabei hatten sie Sonne vorausgesagt: Da sieht man mal wieder, was von der Wettervorhersage zu halten ist. Es ist warm und schwül, und als ich in Annis Straße einbiege, fallen die ersten Tropfen. Groß wie Kaulquappen.
Ich klingele, lasse mich kurz vom Kameraauge beobachten und schlüpfe durch die Tür, sobald das Summen ertönt. Es riecht nach Sumpf. Irgendwo glaube ich, ein Quaken zu hören: Vielleicht haben Annis Eltern tatsächlich einen Teich. Ein Wagen steht in der Auffahrt, Eriks Wagen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Sehe die gigantischen Regentropfen auf dem Lack zerplatzen und in feineren Perlen herunterlaufen. Wie er so dasteht, erinnert er mich an einen Leichenwagen.
Leichenwagen. Quatsch. Natürlich kann sein Wagen dort stehen, oder? Ich meine, er wird mit seinen Eltern mitgefahren sein.
Die Haustür ist offen, sieht aber wenig einladend aus. Ich zögere. Noch könnte ich … Ich drehe mich halb um. Aber dann siegt die Neugier. Vor allem will ich endlich Gewissheit über die Botschaften bekommen.
In der Eingangshalle werde ich wie immer erschlagen von dem riesigen Kronleuchter, dem vielen Gold, dem schwarz-weißen Marmor zu meinen Füßen. Ich streiche mir das feuchte Haar aus dem Gesicht.
»Hallo?«, rufe ich, doch es klingt leise im Geräusch des Regens, der inzwischen wie ein Vorhang heruntergeht. Ich schließe die Tür hinter mir, dann schlüpfe ich aus meiner Jacke. Tropfe wie damals auf den blanken Boden. Überlege kurz, meine Schuhe auszuziehen, lasse es dann aber bleiben. Ein Schauer läuft mir den Rücken herunter, ich wische mir das Wasser aus dem Gesicht.
»Anni?«, rufe ich noch einmal in die imposante Halle hinein, und meine Stimme hallt. Der Kronleuchter klirrt leise: Irgendwo muss Wind sein.
Ich sehe mich um. Die Spiegel rechts und links werfen mich zurück. Wenn ich mich hierhin, genau in die Mitte stelle, vermehre ich mich sowohl nach rechts als auch nach links ins Unendliche. Gibt’s dafür nicht einen Ausdruck? Den müsste ich eigentlich kennen. Heißt so etwas nicht …
»Hallo Julia«, sagt eine Stimme, und ich fahre zusammen.
Eriks Gesicht kommt mir aus unendlich vielen Spiegeln entgegen.
»Erik.« Ich werde stocksteif. So muss sich ein Kaninchen vor der Schlange fühlen.
Erik lächelt nicht. »Anni hat schon gesagt, dass du kommst.«
»Wo … wo ist sie?«
»Leider verhindert. Du sollst es dir gemütlich machen.« Er streckt die Hand aus, und erst weiß ich gar nicht, was er will.
»Nein danke. Dann komme ich ein anderes Mal …«
»Deine Jacke.«
Ich bin zunächst sprachlos. »Ich glaube, ich möchte lieber …«
»Deine Jacke, Julia.«
Er ist mir kräftemäßig überlegen, ganz abgesehen davon, dass er über einen Kopf größer ist. Also gebe ich ihm die Jacke, wenn er schon soviel Wert darauf legt.
Erik geht zur Haustür, schließt ab und verschwindet erst danach im begehbaren Garderobenschrank, um sie aufzuhängen.
Er hat abgeschlossen!
Schon taucht er wieder auf, macht die Schranktüren hinter sich zu. »Wir sollten hier nicht so herumstehen: Du holst dir nur noch den Tod.«
»Was?« Ich starre ihn an.
Erik verzieht den Mund zu einem gezwungenen Lächeln. »You are wet«, sagt er.
Jetzt wäre es wieder mein Part, etwas aus der
Rocky Horror Picture Show
zum Besten zu geben. So war es beim letzten Mal, aber danach steht mir jetzt nicht der Sinn. Dies ist kein Höflichkeitsbesuch und wir sind keine Freunde: Das ist ja wohl inzwischen klar. Also gibt es auch keinen Grund, drumherumzureden, nicht wahr?
»Was willst du von mir, Erik?«
»Ich?« Er reißt gespielt unschuldig die Augen auf. »
Ich
will gar nichts von dir. Und wenn, dann müsste ich mich schon ganz weit hinten anstellen, nicht wahr? Nein, nein. Da gibt es ganz anderes … ganz andere«, verbessert er sich, »die ein Wörtchen mit dir zu reden haben. Würdest du mir also bitte folgen?« Er macht eine Handbewegung in Richtung Wohnzimmer.
Es bleibt mir nichts anderes übrig als vorauszugehen.
Ins Wohnzimmer, das ich ja schon kenne.
Der Regen lässt auch hier kaum
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