Zwischen Ewig und Jetzt
Bettzeug weggepackt. Sieht aus, als hätte sie gar nicht geschlafen.
»Du ja auch.« Ich lasse mich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen und beiße in meinen Toast.
»Ist Einiges liegengeblieben wegen Opa«, seufzt meine Mutter und sieht auf einen Stapel Papiere neben dem Computer. »Und Montag fällt ja auch aus.« Sie sieht anklagend auf das Brot in meiner Hand und schiebt mir ihren Teller hin. »Und was hast du heute noch vor?«
»Felix«, antworte ich kauend. »Er plant eine Überraschung für mich. Als Ablenkung.«
Was findest du nur an ihm?
»Bringst du ihn am Montag mit?«
»Wen? Felix?« Ich höre auf zu kauen und lege das Toastbrot hin.
»Ja, natürlich. Von wem sprechen wir denn gerade? Du kannst ihn ruhig mitbringen.«
Jemand, dem du noch nicht einmal die Wahrheit über dich erzählen kannst.
»Montag ist doch Schule.« Das ist die Wahrheit.
»Ja, natürlich«, sagt meine Mutter.
Ich nage noch ein wenig an meinem Brot, auch wenn mir der Appetit vergangen ist.
Muss das anstrengend sein, ständig zu lügen.
»Und du? Kommt denn
dein
Freund mit?«, frage ich, um mich abzulenken.
»Mal sehen.« Meine Mutter zuckt gewollt gleichgültig mit den Schultern. Trotzdem wird sie rot. »Und er ist auch nicht mein Freund, wie du sehr wohl weißt. Klaus hat mir nach Papas Tod sehr geholfen. Er hat uns diese Wohnung hier besorgt, den Umzug organisiert …«
»Schon gut, schon gut.« Ich winke ab. Kann die alte Leier über den lieben »Onkel« Klaus nicht hören, einen ehemaligen Arbeitskollegen meiner Mutter. Der ihr all die Jahre die Beziehung zu einem verheirateten Mann auszureden versuchte. Der uns ab und zu besuchte. Der seine Chance gekommen sah, kaum dass mein Vater begraben war.
»Zur Schule muss er auf jeden Fall nicht«, fährt meine Mutter fort.
»Wer?«
»Na, Klaus. Von wem reden wir denn?«
Ja, von wem? Und vor allem: Von wem reden wir immer öfter? »Ja, das ist einer der Vorteile des Erwachsenenlebens: Man kann zu so vielen tollen Beerdigungen gehen, wie man will.« Ich schiebe den Teller mit dem angebissenen Toast von mir.
»Hast du was dagegen, wenn Klaus mitkommt?«
»Nö«, lüge ich. Ich werde allein sein am Montag, und sie hat ihren Klaus. Aber was soll ich ihr sagen? Bitte, Mama, kümmere dich um mich, ich habe Angst? Das Gefühl, wie ein kleines Kind auf ihren Schoß kriechen und sich zusammenrollen zu wollen, ist fast übermächtig. Aber sie kann mich nicht beschützen. Nicht mehr.
»Wie lange, meinst du, dauert das bei Felix?« Meine Mutter wühlt in ihren Unterlagen. Sie hat diesen unschuldigen Tonfall, der bedeutet, dass sie ihren Klaus hierher einladen will. Sobald ich weg bin.
In diesem Fall umso besser für mich. »Kommt drauf an, wann ich zu Hause sein muss«, erwidere ich in demselben Tonfall.
»Um zwölf?«
»Zwölf ist gut«, nicke ich. Das ist schon eine Stunde länger als sonst. »Ich bin pünktlich.« Soll soviel heißen wie: Bis dahin muss dein Kerl aber auch verschwunden sein.
Klaus und ich mochten uns noch nie. Er unterrichtet irgendwas Technisches an der Uni und ist ein Pedant, finde ich. Aber schon damals konnte ich ihn nicht leiden. Seine Besuche bei uns, sobald mein Vater ›auf Reisen‹ war. Die Art, wie er meine Mutter ansah … Zudem ist er reichlich unattraktiv und ich kann nicht die Bohne verstehen, was Mama an ihm mag: Er ist groß, dünn, hat rötliche Haare und blass-blaue Fischaugen, die ständig zu tränen scheinen. Ganz zu schweigen von seinem fliehenden Kinn … Er im Gegenzug findet mich »vorlaut«. Das hat er mal zu mir gesagt: Sei nicht so vorlaut gegenüber deiner Mutter. Als wenn ihn das was angehen würde!
Inzwischen haben wir so eine Art Nichtangriffspakt, wenn wir uns begegnen. Schließlich hat er uns ja wirklich geholfen. Uns diese Wohnung besorgt, wie meine Mutter schon sagte. Obwohl ich den Verdacht nicht loswerde, dass die absichtlich so klein ausgefallen ist. Weil Klaus sie nur als Übergangslösung sieht. Solange, bis sich etwas Besseres findet. Etwas Besseres wie zum Beispiel sein Haus …
»Isst du das noch?«, unterbricht meine Mutter meine Gedanken.
Ich schüttele den Kopf und schiebe ihr den Teller hin. Mir ist der Appetit vergangen. Zudem kann ich meinen Vorsatz, keine Angst vor der Beerdigung zu haben, zu den Akten legen. Ich werde allein dort sein: Ein leichtes Ziel für Justin.
Auf dem Weg zu Felix spiele ich durch, wie ich ihm die Wahrheit sage. Übrigens Felix, ich wohne gar nicht da und da, sondern ganz
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