Zwischen Ewig und Jetzt
antworte ich und schüttele ihm die Hand.
»Die Neue.« Zappa nickt. »Alice hat mir von dir erzählt, allerdings ist das schon eine Weile her.«
Ich nicke. Es wird einen kurzen Moment lang still.
»Und wo steckt Alice?« Ihr Vater guckt über meine Schulter, als habe sie sich hinter mir versteckt. Außerdem sagt er »Ällis«, obwohl seine Tochter doch auf »A-li-ze« besteht.
»Ist im Keller. Mit Niki.«
»Niki?« Zappa wird wachsam. »Von dem habe ich auch gehört.«
Niki hat wirklich einen unübertroffenen Ruf. »Ja, wir wollten Alice besuchen. Und dann … dann wollte ich mir ein Glas Wasser holen«, und ich zeige auf den Tisch und das Glas, das darauf steht. »Und das habe ich ja jetzt. Ich meine, Wasser getrunken. Also …«
»Also?« Zappa hebt eine Augenbraue.
»Also kann ich ja jetzt wieder runtergehen.«
»Runter? Ihr seid im Übungskeller? Warum seid ihr nicht in Alices Zimmer?«
Ja, warum nicht? Ich zucke mit den Schultern. »Wohl zu unordentlich«, mutmaße ich. Allerdings nehme ich eher an, dass Alice uns nicht in ihrem Reich haben wollte.
»Aha.«
Wieder wird es einen Moment lang still.
»Gut«, sage ich dann betont munter. »Also …« Ich zeige auf die Kellertür.
Zappa nickt. »Lass dich nicht aufhalten.«
Tue ich nicht. Ich drehe mich um. Öffne die Tür. Steige die Stufen hinunter. Am Fuß der Treppe bleibe ich stehen und lausche. Von oben aus der Küche höre ich Geschirr klappern. Aus dem Dunkeln am Ende des Ganges kommt kein Laut. Hab ich das Licht ausgemacht, als ich nach oben gegangen bin? Vielleicht ist das aber auch ein Zeitschalter, der das Licht nach einer Weile ausgehen lässt?
Ich taste nach einem Schalter, kann aber keinen finden. Jetzt wieder hochgehen? Aber was für eine Entschuldigung habe ich? Sorry, aber ich kann die paar Meter nicht im Dunkeln gehen, weil hinten im Übungszimmer gerade Niki sitzt und mit einer Toten quatscht? Nein, geht nicht.
Zögernd mache ich einen Schritt. Von oben kommt genug Licht, das Klappern des Geschirrs und das Pfeifen von Alices Vater beruhigen mich. So langsam komme ich mir albern vor.
Ich gehe rasch weiter, als Alices Vater die Kellertür schließt. Und es schwarz wird um mich herum.
Das ändert alles, mein Herz rast. Ich bin normalerweise nicht so schreckhaft, und Angst im Dunkeln hatte ich das letzte Mal mit Fünf. Aber das war ja auch, bevor ich mit meinem toten Opa geredet habe. Bevor Bücher auf geheimnisvolle Weise umgefallen sind und Niki sich seltsam benommen hat. Und erst sein Blick! Mit einem Mal sehe ich Niki vor mir, und das meine ich wörtlich: Ich sehe ihn. Eine Gestalt im Flur, nicht direkt beleuchtet, aber auch nicht im Dunkeln. Es ist eher ein Glimmen. Woher kommt das? Woher kommt dieses merkwürdige Licht? Und da ist noch etwas anderes … Ich starre, obwohl ich gar nicht hinsehen will. Kann nicht anders, als Niki gebannt ins Gesicht zu sehen, aber das ist er nicht, oder? Das sind die kalten, unbewegten Augen eines Toten. Milchige, weiß überzogene Pupillen, und sie bewegen sich. Niki, der tote Niki, sieht mich an, seine Haut ist fleckig, er verzieht den aufgesprungenen Mund zu einem Grinsen, der Piercingring funkelt …
Nein, Schluss damit. Ein gequältes Geräusch ist zu hören, es stammt von mir selbst. Ich bewege mich rückwärts, mit ausgestreckten Armen, als könne ich ihn (Es? Das Gespenst?) damit abhalten. Es sind nur wenige Schritte bis zur Kellertreppe. Ich stoße mit den Hacken dagegen, verliere das Gleichgewicht, drehe mich seitwärts und pralle mit der Hüfte auf eine Stufe.
Die Tür am Ende des Flurs wird aufgerissen.
Ich blinzele, als wäre ich ewig im Dunkeln gefangen gewesen. Selbst das gedämpfte Licht des Übungskellers blendet mich jetzt.
»Julia?« Es ist Niki, der echte Niki, nicht die Ausgeburt meiner Phantasie. »Ist was passiert?« Er kommt mit raschen Schritten auf mich zu, zieht mich hoch.
Passiert? Wer weiß. »Es ist …, es ist ziemlich dunkel«, krächze ich. »Ich bin gefallen.«
Hinter Niki taucht Alice auf. »Der Lichtschalter ist hier … o nein, das Licht ist kaputt. Vielleicht ist eine Sicherung raus«, sagt sie. Ihre Stimme klingt fest. Sie wirkt auch nicht mehr verheult: Wenn hier einer nach Geistererscheinung aussieht, dann bin das wohl ich.
»Sicherung, ach so«, sage ich und versuche, mir den Anschein von Normalität zu geben. Meine Hüfte tut weh, mein Herz klopft immer noch wie verrückt.
»Hattest du Angst?«, fragt Niki und runzelt die Stirn. Seine
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