Zwischen Ewig und Jetzt
Der wollte allen Ernstes, dass ich mich in seinem Namen von seiner Corvette verabschiede.«
»Seiner was?«
»Corvette. Das ist ein Auto.«
Ich muss lachen. »Und? Hast du es gemacht?«
»Natürlich nicht. Ich sollte sie für ihn streicheln, ohne Witz.«
»Und ist etwas passiert? Ich meine, weil du es nicht gemacht hast?«
Niki grinst. »Du meinst, ob ich danach von seinem wütenden Geist heimgesucht wurde? Nein, wurde ich nicht. Das können sie nicht, heimsuchen und so. Was ist?« Niki hat mein leichtes Kopfschütteln gesehen.
»Nichts.« Ich hoffe einfach, dass er sich da nicht irrt. Aber schließlich weiß er ja auch nicht, wie er mich angesehen hat. Aber selbst wenn ich mir seinen Blick so eingebildet habe wie das Niki-Gespenst danach, dann bleiben immer noch die Bücher.
Wir laufen eine Weile in unbehaglichem Schweigen. »Ich glaube«, sage ich dann, um abzulenken, »dass ich eine spitzenmäßige Assistentin für dich wäre. Ich meine: Ich hätte das Auto gestreichelt. Hätte mir nichts ausgemacht.«
Niki steigt sofort darauf ein und lacht. »Kann ich mir lebhaft vorstellen. Julia, wie sie sich an den Lack schmiegt …«
»Den roten Lack.«
»Rot, selbstverständlich. Sich leicht bekleidet an den roten Lack schmiegt, einen Lappen in der Hand, noch einmal zärtlich über die Rücklichter wischt, sich dann auf der Motorhaube räkelt …«
»Ich muss doch sehr bitten.«
»Und dem Auto dann einen innigen, leidenschaftlichen Kuss gibt …« Niki räuspert sich.
Eine Pause entsteht.
»Von Küssen war nie die Rede. Nur vom Streicheln«, versuche ich die Leichtigkeit unseres Gesprächs wiederherzustellen, aber es gelingt mir nicht. Niki ist verstummt.
»Ist alles gut?«, frage ich nach ein paar Schritten, die wir mal wieder schweigend zurückgelegt haben.
»Ja«, sagt Niki. »Nein«, sagt er dann.
Ich lächele schwach. »Was denn nun? Ja oder nein?«
Niki erwidert zunächst nichts. Dann dreht er sich so plötzlich zu mir um, dass ich mich an die Szene im Keller erinnert fühle. Dieses Mal allerdings sind seine Augen alles andere als leblos: Sie funkeln geradezu vor Gefühlen. »Was findest du nur an ihm? Jemandem, dem du noch nicht einmal die Wahrheit über dich erzählen kannst?«
Das erwischt mich kalt. »Was?«
»Ist es, weil er dich an dein altes Leben erinnert? Weil du dir das zurückwünschst? Passt er besser dort rein? Besser als … als ich?«
Mein Inneres ist wie aus Eis. »Nein«, erwidere ich, »tu das nicht.« Ich will es nicht hören. Will nicht, dass er das, was ich ihm erzählt habe, gegen mich verwendet. »Felix ist mein Freund«, sage ich schon allein aus dem Grund, um es selbst zu hören. Weil ich mich überzeugen muss. Mein Herz fühlt sich an, als müsse es reißen. »Mach das nicht«, wiederhole ich verzweifelt.
Wortlos dreht Niki sich um und geht weiter. Es ist ihm anzusehen, wie es in ihm arbeitet, aber in mir tut es das auch. Nicht die Wahrheit sagen? Ich kann Felix die Wahrheit sagen. Könnte es, wenn ich wollte. Aber es ist kompliziert. Komplizierter, als Niki weiß. Was ist schon die Wahrheit, in einem Leben voller Lügen? Welche Wahrheit ist denn wertvoller, die vergangene, die gegenwärtige? Ist Wahrheit nur eine Anhäufung von Ereignissen oder nicht auch ein Wunsch? Vielleicht sogar ein Traum?
Im Wachen wird das Sein nicht offenbar,
habe ich mal irgendwo gelesen,
wahr ist der Traum allein. Jetzt sind wir wahr.
Niki sagt nichts mehr, bis wir an der Kreuzung angelangt sind, wo wir uns trennen. Erst da nickt er mir zu.
»Wir sehen uns Sonntag?«, frage ich unsicher.
Ja, Sonntag. Er nickt noch einmal, bevor er geht.
4 . Kapitel
S amstag. Heute ist Samstag.
Kaum habe ich die Augen aufgeschlagen, fällt mir wieder ein, warum ich mich so mies fühle. Übermorgen ist die Beerdigung meines Opas. Justin kommt. Und am schlimmsten: Ich habe mich mit Niki gestritten.
Niki, der mich gefragt hat, warum Felix besser in mein Leben passt als er.
Ich springe aus dem Bett, um nicht näher darüber nachdenken zu müssen. Dann dusche ich (in der Hocke, ein Schwall Wasser erwischt die Gardine) und ziehe mich an. Heute ist mein Ablenkungstag, der bis jetzt allerdings noch nicht so toll funktioniert.
Was findest du nur an ihm?,
höre ich immer noch Nikis Stimme.
Das geht ihn verdammt nochmal überhaupt nichts an.
»Du bist ja schon so früh auf«, sagt meine Mutter und zieht sich die Stöpsel des Diktiergeräts aus den Ohren. Sie hat schon die Couch zusammengeschoben und das
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