Zwischen Ewig und Jetzt
es auf und legt es hin.
»Nein, es ist hoffnungslos. Ich krieg’s nicht runter.«
Das ist auch das Zeichen für mich, nicht länger auf die aufgeweichte Pampe vor mir starren zu müssen. Ich schiebe die Cornflakes weg.
»Obwohl es besser ist, was im Magen zu haben, um das durchzustehen.«
Das durchzustehen. Es ist uns wohl beiden klar, dass es hier nicht nur um die Beerdigung geht. »Es wäre so viel besser, wenn er nicht dabei wäre«, sage ich. Der Hass auf Justin eint uns, und die Wolke verschiebt sich ein wenig.
»Ja.« Meine Mutter seufzt. »Aber es ist nun einmal auch sein Großvater.«
Als wenn ich das jemals vergessen könnte!
Meine Mutter steht auf und räumt ihren Teller und meine Schüssel ab. »Klaus kommt in einer halben Stunde«, sagt sie, ohne hochzusehen. »Dann müssen wir nicht selber fahren.«
Der kennt natürlich auch die Fahrkünste meiner Mutter. Obwohl: Vielleicht würde ich einen gepflegten Unfall dem anstehenden Ereignis sogar vorziehen. Und dazu noch dem Umstand, Klaus begegnen zu müssen. Ich mache schon den Mund auf, um etwas zu erwidern, als sie mir zuvorkommt.
»Wie war’s eigentlich gestern? Hast du viel gearbeitet?«, ruft sie aus der Küche.
Also kein Gespräch über Klaus. Meinetwegen. »Ja«, rufe ich zurück. »Für Englisch.«
»Warst ja ziemlich lange weg.« Sie kommt wieder zurück, setzt sich mit einem Becher Kaffee mir gegenüber. »Habt ihr den ganzen Tag gelernt?«
»Ja«, antworte ich so knapp wie möglich.
»Felix hat angerufen. Ich habe ihm gesagt, du würdest lernen.«
»Mmh.« Das weiß ich. Und ich habe einen Höllenärger deswegen.
»Mit Niki lernen. Er schien einigermaßen überrascht.«
»Ja, Mama, ich weiß. Er hat mich auch auf dem Handy erreicht.« Das hat er allerdings. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause nach einem ganzen Tag vergeblicher Versuche, meinen Opa zu erreichen. Mein Opa hat nichts von sich hören lassen, dafür aber mein Freund. Seine Stimme war eiskalt, und trotzdem konnte ich die Wut darin hören. Das und völlige Fassungslosigkeit. Und das macht mir immer noch schwer zu schaffen.
»Ihr seid wohl richtig eng zusammen, du und dein Felix.«
Couchtisch, Lederkleid, so eng ist das. »Mama!« Ich richte mich auf, um nicht daran denken zu müssen. »Nicht jetzt, okay? Ich kann mich jetzt nicht mit Felix beschäftigen. Ich muss mich konzentrieren.« Auf mein Zimmer, die Schuhe. Den Stacheldraht um mich herum.
Meine Mutter schweigt, starrt in ihren Kaffee. »Es ist bald vorbei. Bald überstanden.«
Ja, wahrscheinlich. So wie alles in meinem Leben. Nichts bleibt mal so, wie es ist, nicht für eine Sekunde. Es gibt nur Sachen, die man hinter sich bringen muss. Erst die Beerdigung, die Begegnung mit Justin. Dann das Gespräch mit Felix: Ich habe ihm gesagt, dass ich abends noch vorbeikomme und ihm alles erkläre. Da dürfen wir uns wohl beide auf einen schönen, entspannten Abend freuen.
Es klingelt.
»Oh, da ist schon Klaus«, sagt meine Mutter und lässt ihren Kaffee im Stich, um die Tür aufzumachen.
Ich greife rüber und trinke einen mächtigen Schluck. Irgendwie habe ich das Gefühl, heute den ganzen Tag über hellwach sein zu müssen.
Justin ist schon da, als wir auf dem Parkplatz zum Friedhof einbiegen, und damit habe ich nicht gerechnet: Es sind noch beinah vierzig Minuten bis zur Beerdigung.
Mein sogenannter »Halbbruder« steht angelehnt an einen schwarzen Mercedes und hat die Arme verschränkt. Er trägt einen schwarzen Anzug, der perfekt sitzt, und sieht auf seine hinterhältige Art gut aus: Wenn man ihn nicht näher kennt, könnte man ihn glatt für sympathisch halten. Manche Menschen sind halt schon in ihrem Äußeren große Lügner.
Mama und Klaus steigen aus, während ich nur tiefer in meinem Sitz zusammensinke. Schuhzimmer, o Gott, das kann nie und nimmer funktionieren. Mein Magen fühlt sich an, als würde er Loopings drehen, meine Hände sind schweißnass.
»Kommst du, Julia? Bringen wir es hinter uns«, sagt meine Mutter, die mir die Tür aufhält.
Sie hat ja keine Ahnung.
Ich habe Justin seit dem denkwürdigen Nachmittag, als er mich erst geküsst und dann mein Leben zerstört hat, nicht mehr gesehen. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen ums Pflichtteil und die Anerkennung der Vaterschaft laufen über die Anwälte, nur meine Mutter wurde zwei-, dreimal vor Gericht gehört. Meine Knie sind so weich wie Pudding, das sind sie tatsächlich: Ich dachte immer, das wäre eine Redensart, aber hier ist
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