Zwischen Ewig und Jetzt
und das glaube ich ihm ja auch: Er sieht erschrocken aus.
»Schon gut«, murmele ich, »ich kann jetzt nicht … ich muss jetzt …« Keine Ahnung, was. Ich suche meine Klamotten zusammen, und nach einer Weile zieht auch Felix sich wieder an. Wir schweigen beide. Sind ruhig nach außen hin, während es in uns von Gedanken und Gefühlen nur so brodelt.
»Ich habe …«
»Es war nicht …«, beginnen wir gleichzeitig und brechen gleichzeitig ab.
»Du zuerst«, sagt Felix. Er setzt sich auf mein zerwühltes Bett, zieht die Beine unter sich.
Ich bleibe stehen. »Das gestern in der Pathologie … Das steckt mir immer noch in den Knochen.«
Felix nickt. »Das Dementoren-Gefühl.«
»Nicht nur das. Ich habe etwas … ich habe etwas gesehen. Wie damals.« Ich breche ab. Habe ich ihm überhaupt von meinem Ausflug zu Alice erzählt? Ich glaube nicht.
»Damals?«, hakt Felix nach.
»Das ist mir schon einmal passiert. Dass ich etwas gesehen habe, während Niki mit Geistern redet.« Und ich erzähle ihm davon. Von dem toten Niki in Alices Flur, vom Geisterauto gestern.
Felix bleibt ruhig. Er starrt vor sich hin, nur sein Unterkiefer arbeitet.
»Sag doch was«, bitte ich ihn.
»Was soll ich denn dazu sagen? Dass du jetzt auch rumspinnst? Dass du jetzt ebenfalls schon mit diesem Geisterkram anfängst?«
»Was?«
Arme Julia
, hätte ich erwartet.
Oh, wie schrecklich für dich.
Irgendetwas in der Art. Und bin überhaupt nicht vorbereitet auf seine Wut.
»Stimmt doch.« Felix’ Augen sind kaltes Grau. »Egal wann und wo, wie und in welcher Situation auch immer. Es geht stets um ihn. Niki hier, Niki da. Sogar jetzt.«
Ich bin völlig sprachlos. »Ich rede doch gar nicht von Niki«, sage ich, als ich meine Stimme wiederfinde. »Ich rede von mir. Der Stimme, die mich verfolgt. Die mir Angst macht.«
»Die Stimme, die außer Niki niemand hört.« Felix lacht bitter auf. »Und warum ist das wohl so? Lass mich nachdenken. Ach ja, es fällt mir wieder ein: weil wir ja von Geistern reden.
Geistern!
Es kommt mir so vor, als wenn wir inzwischen nichts anderes mehr täten.«
»Aber … aber du glaubst ihm doch. Du weißt doch …«
»Ich weiß gar nichts«, lässt Felix mich nicht ausreden. »Ich weiß nur, dass angebliche Geister dir Botschaften schicken. Und wo Geister sind, ist Niki natürlich nicht weit. Der dich dann retten darf.«
Wut lodert in mir auf, die ich gerade noch so unterdrücken kann. »Dann denkst du also, das ist nur so ein Gag von Niki, denkst du das? Dass er sich einen Spaß erlaubt?«
»Keineswegs«, erwidert Felix und sieht mir in die Augen. »Ich glaube im Gegenteil, dass Niki sehr wohl weiß, was er tut. Und dass er es ernst meint.«
»Und das gestern im Krankenhaus? Und die Nachricht auf dem Laptop?«
»Die Nachricht auf dem Laptop hast nur du gesehen, Julia. Als Anni nachgucken wollte, war sie weg. Und was war denn schon im Krankenhaus? Ein flackerndes Licht, Niki, der irgendetwas murmelt, ein bisschen Grusel. Na und?«
Wir starren uns an, beide gleichermaßen wütend.
»Sind das jetzt wieder deine zwanzig Prozent Feigheit?«, frage ich mit kalter Stimme. Okay, das war gemein, ist mir so rausgerutscht. Doch um es zurückzunehmen, ist es zu spät.
Felix erhebt sich langsam vom Bett, sieht auf mich runter. Sein Gesicht ist blass. »Und deine achtzig Prozent, Julia: Sind das wirklich Gespenster, oder ist das nicht eher Niki, den du siehst?«
Niemand kann einem in die Ohren pusten, solange man iPod-Kopfhörer trägt, nicht wahr? Das werde ich mir jetzt angewöhnen, immer und überall Musik zu hören. Obwohl es wahrscheinlich die lächerlichste Geister-Abwehr-Aktion ist, die man sich vorstellen kann. Noch dazu mit Lady Gaga, die die Einzige war, die ich auf die Schnelle draufspielen konnte.
Anni und die anderen denken sicherlich, dass es eine Reaktion auf die blöde Party ist. Sie behandeln mich inzwischen wieder mehr oder weniger normal. So normal wie eine gefährliche Geisteskranke eben, von der man nicht sicher ist, wann sie wieder ausflippt. Und das Schlimmste: Inzwischen fühle ich mich auch so.
Freds Gesicht taucht in meinem Blickfeld auf. Sie bewegt den Mund.
»Was?« Ich ziehe Lady Gaga aus meinem Ohr.
»Ob du mitkommst: Wir wollen nachher noch in die Eisdiele.«
»Ja, sicher«, sage ich und stöpsele mich wieder ein. Ich muss mich beruhigen, mal wieder etwas Normales mit Felix machen. Das, was alle anderen auch tun. Wir haben gestern Abend noch telefoniert. Er hat sich
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