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Zwischen Ewig und Jetzt

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Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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das gespensterhafte Weiß.
    Und dann sehe ich auf dem unangenehm glänzenden Linoleumboden ein Auto, ein zerstörtes Auto inmitten dieser Farblosigkeit. Es liegt auf dem Dach, die Räder drehen sich noch. Die Scheiben sind geborsten und dunkel. Ich will nicht näher an dieses Auto heran, will es einfach nicht, doch etwas zieht meinen Blick unaufhaltsam an, und mit Entsetzen sehe ich, wie die Tür aufgestoßen wird. Es lebt noch, o Gott, etwas lebt noch da drinnen! Und ich erkenne einen merkwürdig fleckigen Arm und weiß, dass es Blut sein muss, dann schiebt sich etwas heraus …
    »Nein«, höre ich Nikis schneidende Stimme.
    Das Auto verschwindet. Es ist, als würde das Vakuum, in dem wir uns befinden, zurückweichen. Ich weiß, dass Felix das auch bemerkt, denn er sieht sich sofort um. Auch meine Augen wandern unwillkürlich zur automatischen Tür, durch die jeden Augenblick jemand erscheinen kann, während ich am ganzen Körper zittere. Nach Luft schnappe. Die Tränen zurückzuhalten versuche, die mir hinter den Augen brennen.
    Wir sind wieder … da.
    »Es reicht«, sagt Niki, schüttelt leicht den Kopf. Er hebt die Hand, wischt sich übers Gesicht. »Es reicht«, wiederholt er abwesend. Dann schaut er auf, schaut zu uns herüber.
    Es reicht, o Gott, es reicht wirklich.
    Ich habe mich geirrt. Ich habe mich furchtbar geirrt, als ich sagte, er habe jahrelange Übung und es mache ihm nichts aus. Als ich ihm jetzt in die Augen sehe, sehe ich es. Ich sehe nackte Angst.

8 . Kapitel
    A uf dem Weg zur Kanzlei nimmt meine Mutter mich mit zur Schule. Normalerweise versuche ich ja, Autofahrten mit meiner Mutter auf ein Minimum zu beschränken, aber dieses Mal habe ich ihr Angebot dankend angenommen. Das zögert das Aufeinandertreffen mit der Clique wenigstens ein wenig hinaus.
    Ich brauche nur fünfzehn Minuten zur Schule, wenn der Umweg über Felix’ Viertel wegfällt, stelle ich fest. Die ganze Zeit über schaue ich aus dem Fenster in den Nieselregen, während sich die Gedanken in meinem Kopf überschlagen.
    Den gestrigen Schock habe ich immer noch nicht so richtig verdaut. Finde es gar nicht mehr wichtig, ob Geister nun etwas anrühren können oder nicht: Ich sehe immer nur das Auto vor mir, aus dem etwas kriechen wollte. Etwas Totes. Etwas, das aus der Vergangenheit kam …
    »Du bist so schweigsam heute«, sagt meine Mutter. »Ist es wegen Klaus?«
    »Nein«, sage ich abwesend und schaudere. »Montagsgefühl.« Ich höre den Blinker. Die Geräusche der Reifen auf der nassen Straße. Das Quietschen, wenn meine Mutter mal wieder zu spät und zu abrupt bremst. Unwillkürlich strecke ich den Arm aus und halte mich am Fenstergriff fest.
    »Es ist doch wegen Klaus«, seufzt meine Mutter. »Dir passt es nicht, dass Klaus und ich uns …, nun, näherkommen.«
    Nein, mir ist es scheißegal. Denn hinter mir ist ein Monster her, ob es nun aus Autos kriecht oder auf Computern herumhackt. Aber natürlich sage ich das nicht. Allerdings sage ich auch nichts anderes, was meine Mutter wohl als Aufforderung versteht, weiterzureden.
    »Er mochte mich schon immer, schon als dein Vater noch lebte. Das weißt du. Er ist nett, verständnisvoll. Und jetzt … Ich bin so allein, Julia. Du hast ja deinen Freund, deine Clique …«
    Und wie. Eine Clique, die mich hasst. Und mein Freund … ihm ist es ähnlich ergangen. Etwas ist auch in seiner Nähe gewesen, hat Bilder heraufbeschworen, Gefühle. Bei Felix war es »mehr so eine unbestimmte Angst, nie mehr glücklich werden zu können«. In Anlehnung an
Harry Potter
hat er es »Dementoren-Gefühl« genannt. Ich habe ihm gegenüber das Geisterauto nicht erwähnt, nur etwas von »gruseligen Bildern« gemurmelt. Mehr ging nicht.
    »Du hörst mir überhaupt nicht zu«, unterbricht meine Mutter meine Gedanken.
    »Was?«
    »Julia!« Die Stimme meiner Mutter veranlasst mich, ihr einen Blick zuzuwerfen. »Sprich mit mir. Was ist los? Ist es für dich wirklich so unvorstellbar, dass sich ein Mann für mich interessieren könnte? Dass ich wieder etwas für einen Mann empfinden könnte?«
    »Nein. Wirklich nicht.« Für mich ist im Augenblick viel mehr vorstellbar, als ich ertragen kann. »Und guck bitte auf die Straße, Mama.«
    Meine Mutter seufzt. »Ist es wegen Niki? Wegen Felix?« 
    »Da, das ist die Straße.« Ich deute nach vorne und warte, bis sie wieder dorthin sieht. »Und nein: Es ist nichts mit den beiden.« Den beiden: Wie sich das anhört!
    Meine Mutter seufzt wieder. Eine Weile

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