Zwischen Ewig und Jetzt
ich so nebenbei. Hey, das war ein richtig toller neutraler Tonfall: Ich bin die Schweiz.
»Felix und wer, Anni?« Niki wirft einen Blick über seine Schulter und stellt sich dann so, dass ich sie nicht sehen kann. Und sie auch mich nicht mehr. Ich bearbeite weiter den Deckel. »Erik meinte das. Dass sie zusammen sind.«
»Wer ist Erik?«
»Annis Bruder. Ist ja auch egal.« Ich zucke gleichgültig mit den Schultern, das heißt, ich will gleichgültig zucken, aber leider schwappt dabei Kakao aus und läuft auf meine Hand. »So ein Mist.«
Niki zieht die Augenbrauen hoch.
»Doch, wirklich. Alles gut. Es dauert einfach nur ein bisschen, bis ich …« Ja, bis was eigentlich?
»Bis du deinen Kakao nicht mehr erstechen musst, sobald du Felix siehst?«, vollendet Niki den Satz für mich. Das klang nicht so lustig, wie es wahrscheinlich gemeint war.
»Nein, Niki. So ist es nicht. Und das weißt du.«
Er sieht zwar nicht wirklich so aus, als wenn er das täte, aber er nickt wenigstens entschlossen.
»And now for something completely different«, zitiere ich betont munter einen berühmten Monty-Python-Satz.
Niki steigt darauf ein. Er lächelt. »Sehr schönes Englisch. Und das wäre?«
»Wir brauchen deine Hilfe. Meine Mutter und ich. Wir können jetzt endlich Opas Zimmer ausräumen: Justin hat uns grünes Licht gegeben.«
»Und warum macht er das nicht selbst?« Niki spielt mit einer meiner Haarsträhnen und es ist, als würde ein Stromschlag durch meinen Körper jagen. Seine Berührungen, selbst die beiläufigsten, machen es schwer, sich zu konzentrieren.
»Warum er nicht selber ausräumt? Oh, das würde er. Aber dann würde er auch alles wegschmeißen. Er hat uns angeboten, dass wir uns aus Opas Nachlass nehmen könnten, was wir wollen, aber nur, wenn wir den ganzen anderen Plunder auch mit ausräumen.«
»Wie großzügig.«
»Nicht wahr? Vor allem, wenn man bedenkt, dass er sich schon alles Wichtige unter den Nagel gerissen haben wird.«
Niki streicht mir die Strähne hinters Ohr. »Klar helfe ich euch.«
»Super.« Ich lächele.
Vielleicht wäre Niki nicht so schnell mit seiner Zusage, wenn er wüsste, was meine Mutter wirklich gesagt hat: »Kann nicht dieser Niki uns helfen?«
Dieser Niki. Dieser!
»Ich kann
diesen
Niki ja mal fragen. Auch wenn ich nicht begreifen kann, dass du ihn nicht magst.«
»Wer behauptet denn so etwas?« Meine Mutter hat natürlich alles abgestritten. »Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ob es gut ist, sich so schnell nach der Sache mit Felix in eine andere Beziehung zu stürzen …«
»Ich stürze nirgendwo hin.« Niki war schon immer da. Aber natürlich habe ich das nicht gesagt.
»Es ist vielleicht noch zu früh. Und dieser Niki …«
Dieser, schon wieder.
»… ist ein wenig, nun, sagen wir mal: gewalttätig.«
Das erste und einzige Mal, dass sie Niki gesehen hatte, ist auf Opas Beerdigung gewesen. Und anstatt ihm dankbar zu sein, dass er Justin eine verpasst hat, findet sie Niki jetzt gewalttätig!
»Er hat mich gerettet«, habe ich ihn verteidigt, doch meine Mutter hat nur den Kopf geschüttelt.
»Da ist noch etwas anderes. Etwas … Grausames.«
Meine Mutter liebt Übertreibungen, tat sie schon immer. Trotzdem lief es mir bei ihren Worten kalt den Rücken herunter und ich musste kurz an Nikis pulsierende Augen denken. Wie er mich ansieht, wenn er einen Blackout hat.
»Klasse«, verdränge ich damals wie heute diesen Blick. »Wir treffen uns dann vor dem Altenheim.« Und lächele tapfer, obwohl das Zusammentreffen zwischen meiner Mutter und Niki nichts ist, auf das ich mich wirklich freue.
Klaus kann uns nicht helfen, ist übers Wochenende dienstlich verreist. Er hat meiner Mutter seinen alten Kombi geliehen. Was die Fahrt zum Heim noch gefährlicher macht, als sie es eh schon wäre: Meine Mutter ist wirklich eine lausige Autofahrerin.
»Und Niki? Soll ich ihn abholen?«
Bloß nicht, denke ich. Laut sage ich: »Wir treffen uns am Heim.«
Meine Mutter runzelt die Stirn und sieht mich an. »Ich hätte ihn doch mitnehmen können.«
»Mama, er kommt dorthin«, sage ich. »Und könntest du vielleicht nach vorne gucken? Ja, wunderbar. Ich will nämlich noch ein wenig leben.«
Meine Mutter umkurvt haarscharf eine Straßenbahn.
»Und keine blöden Fragen«, sage ich, als mein Herz mir nicht mehr im Hals schlägt und ich wieder sprechen kann.
»Was meinst du?« Sie dreht schon wieder ihren Kopf in meine Richtung.
»Nach vorne sehen«, befehle
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