Zwischen Ewig und Jetzt
entscheiden. Du hast mir immer wieder erzählt, du seist mit Felix zusammen. Niki sei nur ein Freund. Und dann auf einmal ist alles anders herum. Ich war nur neugierig.«
Ich antworte erst gar nicht.
»Ich wollte doch nur …«
»Ja, was?« Jetzt wird es interessant.
»Nur wissen, wie er dir gegenüber steht. Und du ihm gegenüber. Ob du ihn wirklich … liebst.«
Allein diese kleine Pause in ihrem Satz kann mich rasend machen. »Ach so«, sage ich und richte mich auf. »Weil du ja auch so eine Expertin in Sachen Liebe bist, ist es das? Weil ja immer alles so klar ist, in der Liebe, nicht wahr? Ja oder nein. Schwarz oder weiß. Verheiratet oder nicht verheiratet.«
Meine Mutter beißt sich fest auf die Unterlippe und starrt geradeaus.
Ich lasse mich wieder in den Sitz sinken und sehe aus dem Fenster. Obwohl ich eigentlich nichts sehe vor Wut. Nur Häuser und Menschen in einer öden, bescheuerten Welt, die mich im Moment nicht die Bohne interessiert.
»Du verstehst mich völlig falsch«, kommt es nach einer ganzen Weile von meiner Mutter.
»Natürlich.« Ich lache zynisch.
»Es ist, weil ich Angst habe. Angst habe um dich«, sagt sie leise. »Du solltest dir Zeit lassen. Erst einmal über Felix hinwegkommen.«
»Wie viel Zeit denn?«, frage ich müde. »Einen Tag? Eine Woche? Was ist denn der richtige Zeitpunkt? Zwei Jahre, so wie du mit Klaus über Papa hinweggekommen bist?«
Sie zuckt getroffen zusammen, was ja durchaus beabsichtigt war. Aber meine Wut verraucht danach augenblicklich, obwohl ich mich gern noch ein wenig an ihr festgeklammert hätte. Nie ist sie da, wenn man sie braucht, typisch. »Es ist nicht so, wie du denkst«, sage ich lahm und sehe aus dem Fenster. »Niki ist anders.« Er war immer schon da: Es war immer schon Niki. Aber wenn ich das denke, was macht das dann aus meiner Vergangenheit mit Felix? Entpuppt sich denn alles, was ich gelebt habe, im Nachhinein als Lüge?
Den Rest des Weges legen meine Mutter und ich verloren in Gedanken und schweigend zurück.
Justin. Schon wieder Justin. Dieses Mal bin ich mir sicher, dass ich ihn gesehen habe, als mich am nächsten Morgen Niki abholt. Er hat darauf bestanden, obwohl es ein Riesenumweg für ihn ist. »Ich stehe eh früh auf«, lautete seine Begründung, nachdem er mich zur Begrüßung geküsst hat.
»Hast du ihn auch gesehen? Hast du Justin gesehen?«
»Den Riesenarsch?« Niki reckt sich, sieht sich um. »Nein, keine Spur. Wieso?«
»Ich könnte schwören, er war eben noch da drüben. Und neulich, als wir Hausaufgaben gemacht haben, stand er, glaube ich, vor eurem Haus.«
Niki legt seinen Arm um mich. »Der weiß doch gar nicht, wo ich wohne. Na los. Lass uns gehen.«
»Er weiß, wo
ich
wohne«, sage ich, während wir Arm in Arm in Richtung Schule marschieren. »Vielleicht verfolgt er mich.«
»Warum sollte er?«
Ja, warum? »Vielleicht hat es mit den Nachrichten zu tun? Vielleicht stammen sie doch von ihm?«
»Julia.« Niki kickt ein Steinchen weg. »Er hätte nie und nimmer diese Nachricht auf den Laptop bei Anni schreiben können. Wie denn auch?«
»Als Mail, vielleicht. Vielleicht gibt es irgendeinen technischen Trick …« Ich breche ab, weil Niki plötzlich stehen bleibt. »Was ist? Was hast du denn?«
Er antwortet nicht. Muss er auch nicht, weil ich mit einem Mal, das Gefühl habe, als sei meine Schulter in Eis getaucht. Dass die Welt größer wird, anfängt zu rauschen, und dann höre ich mit einem Mal … »Nein!« Ich mache mich von Niki frei, springe fast zurück und stolpere. Ein Fahrradfahrer kann mir gerade noch ausweichen und klingelt wütend, während ich wie ein Käfer auf dem Rücken halb auf dem Bürgersteig, halb auf der Straße liege. Ich spüre zunächst gar nichts, habe nur dieses Rauschen im Kopf, das erst langsam nachlässt. Sehe einen Schatten, oder glaube vielmehr ihn zu sehen. Hinter Niki, nein, nicht hinter ihm,
an
ihm. Und diese
Stimme
, mein Gott, war das überhaupt eine Stimme? Oder nur Geräusche? Ich habe noch nie zuvor so etwas gehört. So ein hasserfülltes Zischen. Etwas, das von so weit herzukommen schien und einen rasend schnell ausfüllte. Eine Art akustischen Tsunami.
»Julia? Julia«, Niki blinzelt endlich, endlich regt er sich auch. »Was ist … was machst du denn?«
»Was
ich
mache?« Ich lasse mir von ihm aufhelfen. Meine Tasche ist dreckig, meine Jeans auch. Ich habe mir den Ellenbogen aufgeschlagen, der heftig blutet. Und die Tasche ist ein echt empfindliches
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