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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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kommen ihm Sachen abhanden. Dazu die spöttischen Kommentare: »Oh, entschuldige. Vielleicht hat ein Geist meinen Kaffee umgestoßen«, »Du suchst deinen Aufsatz? Vielleicht hat ein Geist ihn gefressen«. So etwas in der Art. Es gab ein paar Schlägereien mit Niki, der sich nichts gefallen lässt. Was ihm bislang zwei Verwarnungen eingebracht hat: Noch eine »Auffälligkeit«, und er fliegt.
    Ist man zu zweit nun weniger allein oder doppelt einsam?
    »Was ist?« Niki sieht hoch, als hätte er meinen Blick gespürt.
    Ich schüttele unwillig den Kopf. »Ich dachte an meinen ersten Tag an der Schule. Das Becken im Hof. An Schildkröten.«
    »Schildkröten?«
    Wir sitzen bei ihm im Zimmer. Niki auf dem Bett, ich an seinem Schreibtisch. Und tatsächlich, meine Mutter würde es wahrscheinlich nicht glauben, lernen wir für Englisch. Manche Lügen entpuppen sich regelrecht als Prophezeiungen!
    »Ja, Schildkröten. Hattest du kein Tier, als du klein warst?«
    Niki guckt skeptisch. »Ich habe Sherlock.«
    »Nein, das ist ja ein Hund, das gilt nicht. Ich meine, ein kleines Tier. Einen Hamster, ein Meerschweinchen, so was in der Art.«
    »Hunde gelten nicht? Dann wohl nicht.«
    »Ich hatte einen Hamster.« Ich beuge mich wieder über mein Heft.
    »Erst Schildkröten, dann Hamster. So langsam habe ich das Gefühl, du willst bloß von deinen Englischhausarbeiten ablenken.« Das Bett knarrt. Niki kommt zu mir rüber und kniet sich neben mich. Er streicht mir das Haar aus dem Gesicht. »Und was war mit deinem Hamster?«
    »Er hieß Krümel. Er ist gestorben.« Gestorben, schon wieder: Früher oder später sind wir diesem Thema immer nah. Es liegt immer im Inneren des Kreises. Wie eine unsichtbare Grenze, die man hinter sich gelassen hat.
    Niki lacht. »Krümel?«
    »Hör auf zu lachen, das war sehr tragisch, damals. Er hat wie besessen an seinen Käfigstangen geknabbert und ist im Kreis rumgelaufen. Mein Vater …«
    Niki wird automatisch ernst.
    »Mein Vater musste ihn töten.«
    »Oh.« Er kaut an seiner Unterlippe, weiß wohl nicht, was er dazu sagen soll. Entweder das, oder er verkneift sich das Lachen.
    »Naja, schließlich kannte er sich als Afrikareisender mit Tieren aus«, versuche ich ihn herauszufordern.
    »Mit afrikanischen Hamstern?«
    »Mit denen gerade.«
    »Gibt es denn Hamster in Afrika?«
    »Und wie. Die werden da gegessen. Haufenweise.«
    Niki grinst. »War ja klar, dass es bei dir wieder ums Essen geht.« Er erhebt sich und setzt sich wieder aufs Bett. »Afrikanische Hamster«, murmelt er und schüttelt lächelnd den Kopf.
    Wir sind nicht zusammen. Ich meine, so kurz nach Felix wäre das auch mehr als merkwürdig. Ich denke oft an Felix, meinen ersten »richtigen« Freund, klar tue ich das. Ich vermisse Felix. Manchmal sogar sehr. Andererseits bin ich auch immer noch wütend. Und verletzt. Und wenn ich ihn auf dem Schulhof sehe, umringt von der Clique, scherzend, lachend, während ich abseits stehe, dann komme ich mir verraten vor. Verraten und gedemütigt. Und dann bin ich so unglaublich wütend … Das ist bei weitem das bessere Gefühl.
    Es ist still, während Niki und ich über unseren Fragesätzen brüten. Das heißt: Ich brüte. Bei Niki habe ich den Verdacht, er ist längst fertig und will mich nur nicht abschreiben lassen.
    »Okay«, seufze ich schließlich und mache einen Punkt. »Wollen wir vergleichen?« Als ich mich umdrehe, kann ich gerade noch sehen, wie Niki ein nicht sehr englisch aussehendes Buch verschwinden lässt. Ich stehe auf und lasse mich neben ihm aufs Bett fallen. »Aber wehe, du lachst.«
    »Würde ich nie.« Niki schnappt sich mein Heft, fängt an zu lesen.
    »Und?« Ich beobachte ihn von der Seite her und stelle mal wieder fest, was für lange Wimpern er hat. Eigentlich eine Verschwendung bei einem Jungen.
    »Fast«, sagt Niki.
    »Nur fast?«
    »Gib mir mal deinen Stift.« Er beugt sich vor und beginnt, Korrekturen zu machen. »Da fehlt das
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. Und Modalverben sind auch nicht so dein Ding, was?«
    »Was sind Modalverben?«
    »Das meinte ich.« Niki wirft mir ein kurzes Lächeln zu, bevor er weiter meine Englischaufgaben rettet.
    Ich liebe ihn, habe ihn schon immer geliebt. Vom ersten Augenblick an, als ich ihn auf dem Schulhof sah. Also sollten wir zusammen sein, oder? Sollten diesen Englischkram vergessen und uns lieben, unbeschwert sein, einfach nur … leben. Ob innerhalb oder außerhalb irgendeines Kreises: Wen kümmert’s?
    »So.« Niki lehnt sich wieder neben mich an die

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