Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
direkt auf mich. Ich kam mir vor wie unter einem Scheinwerfer und hatte das Gefühl, jeder noch so kleine Makel wäre ganz besonders deutlich erkennbar, von meinen leicht zerzausten Haaren bis zu dem abgeplatzten Lack an meinem rechten großen Zehnagel. Am liebsten wäre ich zu einem der Sessel oder zu der anderen Couch gehuscht, die weiter weg vom Fenster standen, hätte damit aber vermutlich erst recht Aufmerksamkeit erregt. Deshalb blieb ich, wo ich war.
    »Wie war es gestern bei der Arbeit?«, begann meine Mutter das Verhör.
    »Gut.«
    Auf ihren fragenden, nein auffordernden Blick hin fuhr ich fort: »Hat Spaß gemacht. Es war das Abendessen vor der eigentlichen Hochzeitsfeier, nach der Probe in der Kirche, das heißt, die Gäste sind alle ziemlich neben der Spur, entweder weil sie einen Kater vom Polterabend haben oder bei der Vorstellung, was alles schief gehen könnte oder was noch fehlt, total ausflippen. Gestern Abend gab’s von beiden Varianten ein bisschen was, deshalb herrschte ziemliches Chaos, aber genau das macht ja auch irgendwie Spaß. Und dann passierte da noch dieser kleine Zwischenfall mitden Crêpes, die plötzlich in Flammen standen, aber das war eigentlich gar nicht unsere Schuld.«
    Meine Mutter hörte mir höflich, allerdings nur mäßig interessiert zu. Als würde ich ihr gerade etwas über die Kultur eines exotischen Landes erzählen, wo sie im Leben nicht hinfahren würde. »In letzter Zeit hast du ziemlich häufig für diesen Catering-Service gejobbt, nicht wahr?«
    »Eigentlich nicht.« Doch als mir klar wurde, dass ich so klang, als müsste ich mich rechtfertigen (Wirklich? Klang ich so, als müsste ich mich rechtfertigen?), fügte ich hinzu: »Es kommt dir vielleicht so vor, weil Delia in letzter Zeit sehr viele Aufträge angenommen hat. Bis das Baby kommt, möchte sie nämlich noch so viel wie möglich arbeiten. Aber wenn es dann da ist, werde ich vermutlich erst mal nichts mehr zu tun haben.«
    Meine Mutter nahm die Zeitschrift von ihrem Schoß und legte sie auf den Beistelltisch neben sich. »Aber die Information in der Bibliothek bleibt dir doch, oder?«
    »Ach ja, klar«, erwiderte ich schnell. Zu schnell. »Ich meine, natürlich.«
    Pause. Für meinen Geschmack eine viel zu lange Pause.
    »Wie geht es dir denn so in der Bibliothek?«, erkundigte meine Mutter sich schließlich. »Du erzählst kaum noch davon.«
    »Alles okay. Da gibt es auch nicht viel zu erzählen. Ist im Prinzip jeden Tag dasselbe.« Und das war definitiv nicht gelogen. Außerdem hatte sich meine Situation in der Bibliothek in den letzten Wochen nicht verbessert, im Gegenteil. Neu war lediglich, dass es mich nicht mehr so fertig machte. Ich saß meine Zeit ab, ignorierte Amanda und Bethany, so gut ich konnte, und ging, sobald der Stundenzeiger auf der drei landete. »Es ist Arbeit, da zu arbeiten.Wenn es Spaß machen würde, hieße es nicht Arbeit, sondern Spaß.«
    Sie nickte, wobei sie etwas schief lächelte. Oje, dachte ich. Ich wusste, da kam noch was. Und ich hatte Recht.
    »Gestern habe ich in einem Restaurant mit einem Geschäftspartner zu Mittag gegessen und dabei zufällig Mrs Talbot getroffen«, sagte meine Mutter. »Sie hat mir erzählt, dass es Jason im Ferienlager dieses Jahr wirklich ausnehmend gut gefällt.«
    »Ach, wirklich?«, antwortete ich und fuhr mir unwillkürlich mit der Hand durchs Haar.
    Meine Mutter schlug die Beine übereinander. »Außerdem erwähnte Mrs Talbot, Jason habe ihr geschrieben. Er und du hättet beschlossen euch auf Probe zu trennen, zumindest für die Dauer der Sommerferien.«
    Na toll, dachte ich. »Äh . . . ja«, sagte ich. »Ich meine, das stimmt«, fügte ich hinzu.
    Einen Augenblick lang war es so still, dass ich das Summen des Kühlschranks hören konnte. Diese ungemütlichen Pausen im Gespräch   – genauso wie früher bei Caroline. Nur dass ich mich damals gefragt hatte, was in den langen, leeren Pausen zwischen Vorwürfen und Rechtfertigungen wohl geschah. Jetzt dagegen . . .
    Meine Mutter beendete das Schweigen. »Ich wundere mich etwas, dass du so gar nichts davon erzählt hast. Mrs Talbot meinte, ihr hättet diese Entscheidung schon vor Wochen getroffen.«
    »Es ist ja keine richtige Trennung, sondern bloß vorübergehend«, sagte ich so munter und zuversichtlich wie möglich. »Sobald Jason wieder hier ist, werden wir ausführlich miteinander reden. In dem Moment hielten wir es einfach beide für das Einfachste und Beste, mehr nicht.«
    Meine Mutter

Weitere Kostenlose Bücher