Zwischen jetzt und immer
irgendwo und vergaß völlig,dass es die Liste überhaupt gab. Wahrscheinlich werde ich auch in ein paar Jahren noch welche finden.«
»Das ist bestimmt komisch«, sagte ich und fügte – weil mir »komisch« in dem Zusammenhang nicht als das richtige Wort erschien – rasch hinzu: »Oder vielleicht gut?«
»Stimmt beides ein bisschen.« Wes warf seine zusammengeknüllte Serviette auf den Teller und lehnte sich zurück. »Bert macht es wahnsinnig, aber mir gefällt es irgendwie. Ich hatte eine Phase, da habe ich versucht, aus jeder Liste eine besondere Bedeutung herauszulesen. Wenn ich wieder mal eine gefunden hatte, grübelte ich stundenlang nach, um sie zu entschlüsseln. Sachen aus der Reinigung abholen, Tante Sylvia anrufen . . . als steckte irgendeine Botschaft aus dem Jenseits hinter den Worten.« Wieder dieses typische Achselzucken, doch diesmal eher aus Verlegenheit.
»Ich weiß, was du meinst. Ich habe so was Ähnliches gemacht.«
Er hob verblüfft die Augenbrauen. »Echt?«
Ich konnte nicht glauben, dass ich ihm davon erzählte, aber die Worte kamen wie von selbst: »Mein Vater war süchtig nach T V-Verkaufsshows beziehungsweise nach dem Zeug, das da verkauft wird. Er hockte die halbe Nacht vorm Fernseher und bestellte überflüssigen Kram, zum Beispiel diesen Fußabtreter mit Sensor, der einem automatisch signalisiert, wenn jemand –«
Wes fiel mir ins Wort: »
Des Gastgebers bester Freund
.«
»Du kennst das Teil?«
»Nein.« Er grinste. »Doch natürlich. Wer kennt den bescheuerten Werbespot
nicht
?«
»Mein Vater hat den ganzen Krempel
gekauft
«, sagte ich. »Er konnte einfach die Finger nicht davon lassen, wie andere von Drogen oder Alkohol.«
»Ich wollte schon immer mal so ein Gerät haben, das Münzen automatisch sortiert«, sagte Wes verträumt.
»Ich habe eins«, sagte ich.
»Nicht wahr.«
»Doch, ich schwöre«, antwortete ich. »Jedenfalls bekam er immer weiter Pakete von dem Hersteller, auch nachdem er längst gestorben war. Sie schickten jeden Monat ungefragt ein neues. Eine Zeit lang war ich fest davon überzeugt, das hätte etwas zu bedeuten. Als würde mein Vater mit Absicht dafür sorgen, dass ich diese Pakete bekam. Als wollte er mir eine Botschaft übermitteln.«
»Tja, man kann nie wissen«, meinte Wes. »Vielleicht ist es so.«
Ich sah ihn an. »Was meinst du?«
»Na, dass die Pakete etwas zu bedeuten haben«, antwortete Wes.
Ich blickte aus dem Fenster. In einiger Entfernung sausten die Autos auf der Schnellstraße vorbei; ihre Scheinwerfer verschwammen zu einer einzigen Lichtspur. Wo die vielen Leute wohl hinfuhren? Schließlich war es schon nach Mitternacht. »Ich habe jedes Paket behalten«, sagte ich schließlich leise. »Einfach so, für den Fall. Ich bringe es nicht übers Herz, sie wegzuwerfen, verstehst du?«
»Ja, verstehe ich gut«, antwortete er.
Wir blieben noch etwa eine Stunde im Waffelcafé, um uns ein ständiges Kommen und Gehen. Familien mit schlafenden Babys, Fernfahrer, die dort Rast machten, ein Pärchen, das am Nebentisch eine Straßenkarte ausbreitete und mit den Fingern die Strecke entlangfuhr, auf der sie zu ihrem Ziel – wo auch immer – gelangen würden. Die ganze Zeit hockten Wes und ich beisammen und unterhielten uns. Über alles und nichts und dann wieder über alles. Ich konntemich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel geredet, wann ich überhaupt so geredet hatte. Vielleicht nie?
Trotzdem war ich noch zehn Minuten vor Kristy und Monica wieder im Hexenhäuschen. Ich hatte Wes gerade zum Abschied zugewunken und mich an der friedlich schlafenden Stella vorbei hineingeschlichen, als die Jungs Monica und Kristy in der Auffahrt absetzten. Als Kristy auf bloßen Füßen, Schuhe unterm Arm, ins Zimmer kam, hatte ich den Schlafsack, den sie extra für mich bereitgelegt hatte, schon auf dem Boden neben ihrem Bett ausgerollt und schlüpfte gerade in meinen Pyjama. Kristy schien nicht im Mindesten überrascht, mich zu sehen.
»Hattet ihr einen schönen Abend?«, fragte ich, während sie Top und Rock aus- und stattdessen ein T-Shirt sowie Boxershorts anzog.
»Nein.« Sie setzte sich aufs Bett, holte eine Flasche Reinigungsmilch aus der Schublade ihres Nachttischs und begann, sich das Gesicht einzureiben. Als es ungefähr zur Hälfte mit dem weißen Zeug beschmiert war, entschloss Kristy sich endlich mir doch noch ein bisschen was zu erzählen. »Ich sage nur eins: Obwohl Sherman fast die ganze Zeit völlig
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