Zwischen jetzt und immer
Bange«, meinte Caroline. Endlich. Sie trug Shorts und ein T-Shirt , hatte die Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden und wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn. »Ich bin gleich wieder weg. Wollte bloß rasch ein paar Fotos von den Skulpturen machen und an Wally mailen, damit wir gemeinsam entscheiden, welche wir bei unserem Haus in den Bergen aufstellen und welche ich direkt mit nach Atlanta bringe.«
»Ach so«, sagte meine Mutter. Caroline und der Makler zogen gemeinsam den größeren Engel auf den Rasen vor dem Haus und rückten ihn zurecht, bis er einigermaßen sicher stand. Anschließend gingen sie zurück, um einen von den kleineren zu holen. »Mach das«, fuhr meine Mutter fort. »Kein Problem.«
Und dann sagte niemand von uns ein Wort, während langsam ein kleiner Skulpturenwald aus dem Rasen wuchs. Die Leute, die in der Zeit vorbeifuhren, bremsten fast alle ab und schauten verwundert herüber. Meine Mutter erwiderte die Blicke mit ihrem freundlichsten Lächeln und winkte jedes Mal zurück, die perfekte höfliche Nachbarin. Aber ich merkte genau, dass ihr die ganze Aktion überhaupt nicht in den Kram passte.
Als Caroline und der Vertreter fertig waren, standen auf der Wiese vor unserem Haus sieben Skulpturen: zwei große und zwei kleine Engel, ein großes rechteckiges Gebilde sowie die zwei Windspiele. Der Makler trat einen Schritt zurück, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
»Sind Sie sicher, dass ich nicht doch besser bleiben und Ihnen helfen soll die Stücke wieder einzuladen?«
»Nicht nötig«, antwortete Caroline. »Ich werde einen der Nachbarsjungen fragen, ob er mit anpackt. Ich wusste vorhin bloß nicht, ob bei meiner Ankunft irgendwer hier sein würde. Auf jeden Fall vielen Dank.«
»Gern geschehen«, sagte er freundlich. »Ich bin immer gern behilflich. Bis morgen, Deborah.«
»Ja.« Meine Mutter nickte. »Bis morgen.«
Er fuhr wieder los. Meine Schwester ging zwischen den Skulpturen umher, verrückte mal hier eine, arrangierte dort eine etwas anders. Plötzlich schien ihr überhaupt erst aufzufallen, in welchem Zustand der Rasen war, und sie fragte: »Was ist eigentlich mit der Wiese passiert?«
Ich schüttelte bloß den Kopf und riskierte einen Blick zu meiner Mutter.
»Gar nichts«, antwortete meine Mutter ruhig. Sie trat näher an den großen Engel heran, um ihn genauer betrachten zu können. »Die sind . . . auf jeden Fall sehr interessant. Wo hast du sie her?«
»Von Macys Freund Wes«, antwortete Caroline, während sie einen Fleck von einem der Räder abrieb. Und an mich gewandt fuhr sie fort: »Er ist schon etwas ganz Besonderes, aber das weißt du ja.«
»Mmh.« Ich betrachtete den Engel mit Stacheldraht-Heiligenschein. Wes’ Skulpturen wirkten hier, im Freien und ohne das Durcheinander seiner Werkstatt oder des Marktes als Hintergrund, noch viel eindrucksvoller als ohnehin schon. Was sogar meiner Mutter auffiel. Ich merkte es an der Art, wie sie unverwandt, ja geradezu versonnen das Gesicht des Engels studierte. »Ich weiß.«
»Wes?«, fragte meine Mutter. »Ist das der junge Mann,mit dem du neulich abends in der Auffahrt gesessen und geredet hast?«
»Hat Macy dir nicht erzählt, dass er ein Künstler ist?«, fragte Caroline.
Meine Mutter warf mir einen Blick zu, dem ich auswich. Wir wussten beide, dass das zum damaligen Zeitpunkt – bei jenem bewussten »Gespräch« – auch nichts geändert hätte. »Nein«, antwortete meine Mutter leise. »Hat sie nicht.«
»Er ist wirklich sehr begabt.« Caroline strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich habe gerade Stunden in seinem Atelier verbracht und mir jedes einzelne Stück genau angesehen. Das Schweißen hat er übrigens in einer Einrichtung für straffällig gewordene Jugendliche gelernt.«
Meine Mutter ließ mich nicht aus den Augen. »Was du nicht sagst.«
»Eine irre Geschichte ist das.« Caroline hockte sich hin und stupste eins der kleinen Räder an, das sich daraufhin in Bewegung setzte. »Ein paar Dozenten von unserer Uni engagieren sich ehrenamtlich in Myers, du weißt schon, das ist eine dieser Einrichtungen; auch der Leiter des Instituts für Kunst und Kunstgeschichte, wo ich studiert habe, war mal dort, um zu unterrichten. Und er war von Wes’ Arbeit derart beeindruckt, dass er ihm anbot, Wes könne als Externer an den praktischen Seminaren im Institut teilnehmen. Und das tut Wes auch seit zwei Jahren
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