Zwischen jetzt und immer
regelmäßig. Außerdem hatte er vor ein paar Monaten eine eigene Ausstellung in der Galerie, die zur Universität gehört.«
»Davon hat er mir nie was erzählt«, meinte ich.
»Mir auch nicht«, erwiderte Caroline lapidar. »Aber seine Tante kam zufällig vorbei . . . wie heißt sie noch gleich?«
»Delia«, sagte ich.
»Genau.« Caroline fing wieder an, zwischen den Skulpturenhin und her zu gehen. »Während Wes die Skulpturen einlud, unterhielten wir uns ein bisschen miteinander, wobei sie auch erwähnte, dass ihm mittlerweile mehrere Colleges im ganzen Land Kunststipendien angeboten haben, er sich aber noch gar nicht sicher sei, ob er überhaupt studieren wolle. Im Moment hat er nämlich so viele Aufträge von Galerien, Designerläden und Gartencentern, dass er gar nicht mehr nachkommt. Und letztes Jahr hat er den Emblem-Preis gewonnen.«
»Was ist das?«, fragte ich.
»Ein staatlicher Kunstpreis.« Meine Mutter sah erst mich und dann den kleinen Engel zu ihren Füßen an, dessen Heiligenschein aus ineinander montierten Schraubenschlüsseln konstruiert war. »Wird direkt vom Kulturausschuss der Landesregierung vergeben.«
»Auf jeden Fall ist er ein richtiger Künstler. Und ein richtig guter dazu«, fügte Caroline hinzu.
»Wahnsinn!«, meinte ich. Und Wahnsinn, dass er mir nichts von all dem erzählt hatte. Aber ich hatte ja auch nie danach gefragt. Wie hatte Delia Menschen wie ihn und seine Mutter beschrieben? Ruhig, still, bescheiden – aber unglaublich.
»Ich hatte ja schon ein paar Skulpturen von ihm gekauft, damals, auf dem Markt. Als ich sie bei mir im Garten aufstellte, flippten meine Nachbarinnen beinahe aus. Auf einmal wollte jede auch so eine, mindestens.« Caroline rückte die rechteckige Skulptur zurecht, deren Basis – wie mir jetzt erst klar wurde – im Prinzip ein altes, eisernes Bettgestell war. »Ich habe Wes gesagt, wenn ich mit diesen neuen Sachen daheim auftauche, könnte ich sie vermutlich fürs Doppelte weiterverkaufen. Wobei ich sie natürlich nie verkaufen würde.«
»Wirklich? Das Doppelte?« Mit schräg geneigtem Kopf betrachtete meine Mutter die Bettgestell-Skulptur. Wes hatte die Beine abgesägt, so dass nur der kastenförmige Rahmen übrig geblieben war; diesen hatte er auf der Innenseite mit glänzendem Aluminium verkleidet und dann auf zwei langen, leicht abgewinkelten Rohren montiert. Das Ganze wirkte wie ein riesiger Bilderrahmen ohne Bild: Als Bild sah man das, was sich hinter dem Rahmen befand, wenn man davorstand und hindurchschaute. Caroline hatte die Skulptur so aufgestellt, dass sie genau die Vorderseite unseres Hauses einrahmte – die rote Haustür, die sorgfältig zurechtgestutzten Stechpalmen zu beiden Seiten der Eingangsstufen, eine Reihe Fenster.
Zu dritt standen wir davor und betrachteten unser Haus in Wes’ Rahmen.
»Eine neue Serie, an der er gerade arbeitet und die mir wirklich sehr gut gefällt«, meinte Caroline. »Ich habe gleich drei Stück davon gekauft, weil es mich fasziniert, was Kunst hier über Vergänglichkeit und Beständigkeit aussagt.«
»Ach ja?«, sagte meine Mutter.
»Allerdings.« Caroline hatte schon wieder ihren Ich-habe-Kunst-studiert-und-kenne-mich-aus-Ton angeschlagen. Ich verspürte plötzlich eine ungeheure Sehnsucht nach Wes. Mir war gar nicht klar gewesen, wie sehr ich ihn vermisste, wie sehr ich mir wünschte, er wäre jetzt da, würde mir einen seiner ironischen Blicke zuwerfen, die Augenbrauen heben, belustigt lächeln. Damals, als Caroline ihn durch mich kennen gelernt und in dem Stil mit ihm gesprochen hatte, hatte er doch glatt so getan, als hörte er diese Art Gerede zum allerersten Mal. Aber wie ich soeben erfahren hatte, stimmte das gar nicht. »Ein leerer Rahmen und darin ein sich ständig wandelndes Bild als Symbol dafür, wie auchdie Zeit fortschreitet und sich ständig wandelt. Die Zeit hält niemals an, nicht einmal in einem einzigen Bild. So empfinde ich das, wenn ich mir diese Skulptur anschaue.«
Es war noch nicht sehr spät, die Sonne noch nicht einmal ganz untergegangen. Dennoch sprangen in diesem Moment die Straßenlaternen hinter uns an. Erst ertönte das leise, charakteristische Summen, dann flackerten sie mit einem schwachen Knacken auf. Als sie schließlich brannten, wurden auf der leeren Fläche hinter dem Rahmen unsere Schatten sichtbar: auf der einen Seite der meiner Mutter, groß und dünn, sowie Carolines – Hände in den Hüften, Ellbogen nach außen ragend – auf der
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