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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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anderen Seite. Meiner fiel genau dazwischen. Ich führte meine Hand zum Kopf, ließ sie abrupt wieder sinken. Mein Schatten tat es mir gleich.
    »Ich mache mal besser die Fotos, bevor es ganz dunkel wird«, sagte Caroline und lief zum Truck, um ihre Kamera zu holen.
    Noch bevor sie das Führerhaus erreicht hatte, fuhr ein Wagen an unserem Haus vorbei, wurde langsamer und hielt schließlich ganz an. Am Steuer saß eine Frau, die wir gut kannten, denn sie gehörte zu den unabhängigen Maklern, die die Objekte meiner Mutter besonders engagiert verkauften. Sie hupte, ließ das Fenster auf der Beifahrerseite runter und rief meiner Mutter zu: »Deborah! Was für eine originelle Idee!«
    Meine Mutter kam über die Wiese an das Auto heran. »Ich verstehe nicht ganz . . .«
    »Die Dinger da!« Die Frau zeigte auf die Skulpturen beziehungsweise fuchtelte vor lauter Begeisterung so heftig mit dem Arm, dass ihr dickes, klobiges Holzarmband am Handgelenk auf und ab rutschte. »Sehr passend, wirklich, Baumaterial aus den Villen als Dekoration für die Eröffnungzu verwenden. So symbolisch. Mal wieder brillant von Ihnen.«
    »Nein«, sagte meine Mutter. »Das ist keine   –«
    Doch die Frau hörte gar nicht richtig hin, sondern fiel meiner Mutter ins Wort: »Bis morgen. Ich muss schon sagen   – fabelhaft! Großartige Idee.« Und damit fuhr sie bereits wieder davon, wobei sie noch einmal hupte. Meine Mutter blickte ihr stumm nach.
    Caroline kam mit ihrer Kamera über die Wiese zurück und ging, während sie die Linse auf den größeren Engel richtete, ein wenig in die Knie, um für das Foto den richtigen Ausschnitt zu finden. Dabei stutzte sie und betrachtete den Boden aufmerksam: »Ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt   – irgendwas stimmt nicht mit diesem Rasen. Es ist mir sofort aufgefallen. Als . . . als wäre das Gelände auf einmal uneben. Geradezu wellig.«
    »Wir hatten da ein kleines Problem«, antwortete ich. Caroline blickte durch den Sucher und im nächsten Augenblick hörte ich das Klicken der Kamera. »Um genau zu sein, wir hatten ein paar Probleme.«
    Ich hatte erwartet, dass meine Mutter alles abstreiten oder zumindest schönreden würde, aber als ich mich nach ihr umwandte, merkte ich, dass sie nicht einmal richtig zuhörte. Stattdessen blickte sie immer noch auf die Straße, auf der das gewohnte, allabendliche nachbarschaftliche Treiben herrschte: Die Leute machten einen kleinen Verdauungsspaziergang nach dem Abendessen, schoben einen Kinderwagen vor sich her, führten einen Hund an der Leine spazieren; Kinder kreisten auf Fahrrädern um ihre Eltern, fuhren vor, kamen zurück, fuhren wieder vor . . . Eines war an diesem Abend allerdings anders als sonst: Jeder, der vorbeikam, warf einen Blick auf die Skulpturen in unserem Vorgarten.Manche Leute blieben sogar stehen und starrten unverhohlen herüber. Was meiner Mutter genauso auffiel wie mir.
    Prompt wandte sie sich an Caroline. »Weißt du was?«, begann sie vorsichtig. »Diese Skulpturen würden sich bei dem Empfang morgen vielleicht wirklich gut machen. Sie haben einfach was. Unser Garten wirkt auf einmal viel spektakulärer.«
    Caroline machte noch ein Foto, richtete sich auf und trat auf das Windspiel aus Rädern zu. »Ich wollte eigentlich heute Abend weiterfahren.« Beim Sprechen sah sie nicht meine Mutter an, sondern blickte prüfend durch den Sucher. »Ich hab noch ein paar Termine, du weißt schon . . .«
    Das war’s, dachte ich. Sie lehnte ab und wir konnten nichts dagegen tun. Was meiner Mutter ebenfalls klar war; ich merkte es an der Art und Weise, wie sie ein, zwei Schritte zurückwich und nickte. »Ich verstehe«, antwortete sie. »Natürlich, wenn es nicht geht . . .«
    Einen Moment lang schwiegen wir alle drei. Ich fragte mich plötzlich, ob am Ende wohl jeder Streit so ausgeht: Ein einvernehmliches Schweigen   – und dann ist man quitt. Ich nehme dir etwas weg, du nimmst mir etwas weg. Ich mache dir was kaputt, du machst mir was kaputt. Am Ende gleicht sich alles aus. Und das ist es doch, was sich die Menschen am meisten wünschen.
    »Andererseits könnte ich es vermutlich auch verschieben«, meinte Caroline plötzlich. »Es geht ja nur um den einen Tag, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete meine Mutter. Caroline hob erneut die Kamera vors Auge. »Nur für einen Tag.«
    Also blieb Caroline über Nacht bei uns. Sie machte ein Foto nach dem anderen, bis es zu dunkel wurde. Erst dann kam sie ins Haus. Sie und meine Mutter umkreisten

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