Zwischen jetzt und immer
ausgestreckt, egal welche Konsequenzen daraus folgten.
»Okay«, meinte Wes und holte seinerseits tief Luft. »Wenn du absolut alles tun könntest, was du wolltest – was wäre das?«
Ich trat einen Schritt näher, ganz dicht an ihn heran. »Das«, antwortete ich. Und küsste ihn.
Ich küsste ihn, mitten auf der Straße, während die Welt um uns herum sich weiterdrehte. Irgendwo hinter mir wartete Jason auf eine Erklärung, meine Schwester hielt ihre Vorträge und der Engel blickte in den Himmel. Wartete darauf, loszufliegen.
Und was tat ich? Ich versuchte das Richtige zu tun. Was auch immer das bedeutete. Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, endlich auf dem einzig richtigen, nämlich meinem Weg zu sein.
Es gibt Momente, in denen man sich wünscht, dass vondieser Sekunde an für immer alles genau so bliebe. Für jeden Menschen ist dies ein anderer Augenblick, und hätte ich die Wahl gehabt, so hätte ich es mir jetzt, in diesem Moment, gewünscht, als ich mit Wes zusammen war und mir sein Kuss den Atem nahm, um ihn mir umso reicher wieder zurückzugeben – und ich verwundert, begeistert und, mehr als alles andere, lebendig war wie nie zuvor.
Kapitel 22
»Macy. Wach auf.«
Ich drehte mich auf die andere Seite und zog mir das Kopfkissen übers Gesicht, so dass meine Stimme nur gedämpft darunter hervordrang. »Noch eine Stunde schlafen, bitte.«
»Kommt nicht infrage.« Jemand zwickte mich in die Füße. »Beeil dich, ich warte draußen.«
Obwohl ich noch gar nicht richtig wach war, hörte ich natürlich, wie er das Zimmer verließ und kurze Zeit später die Fliegengittertür zur Terrasse zufiel. Einen Moment lang blieb ich noch liegen, war schwer versucht mich dem Schlaf zu überlassen und weiterzuträumen. Aber dann schob ich das Kissen von meinem Gesicht, setzte mich im Bett auf und blickte aus dem Fenster. Der Himmel war strahlend blau, die Wellen brachen sich ganz in meiner Nähe. Es würde wieder ein wunderschöner Tag werden.
Ich stand auf, streifte Shorts, Jogging-BH und T-Shirt über und das Gummiband von meinem Handgelenk ab, um mein Haar zusammenzubinden. Gähnend durchquerte ich mein Schlafzimmer und trat in den Hauptraum des Hauses, wo meine Schwester am Tisch saß und durch eine Zeitschrift blätterte.
»Weißt du was?«, meinte sie unvermittelt und blickte dabei nicht einmal auf. Als befänden wir uns mitten in einemGespräch und würden nach einer winzigen Unterbrechung da weitermachen, wo wir kurz vorher aufgehört hatten. »Wir könnten auf der Terrasse echt mal so was wie einen Aztekenofen gebrauchen.«
»Einen was?« Ich bückte mich nach meinen Joggingschuhen.
»Einen Aztekenofen.« Caroline stützte das Kinn mit dem Ellbogen ab und blätterte um. »Ein Kamin, aber für draußen, ganz simpel, beinahe primitiv. Eine Feuerstelle in einer Art rundem Terrakotta-Behälter mit langem Hals. Hat fast so was wie eine eigene Aussagekraft, wie ein Kunstwerk. Was meinst du?«
Mit einem belustigten Lächeln öffnete ich die Schiebetür. »Klingt toll. Echt super.«
Ich trat auf die Veranda, atmete – zusammen mit dem neuen Tag – tief die frische, salzige Luft ein. Meine Mutter saß in ihrem geliebten alten Holzstuhl, ihr Kaffeebecher stand auf dem Tisch neben ihr. Als sie mich hörte, wandte sie sich zu mir um und sah mich an.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Ich beugte mich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
»Du bist aber eifrig«, fuhr sie fort.
»Nicht meine Idee«, antwortete ich. »Ich hätte lieber weitergeschlafen.«
Lächelnd hob sie den Kaffeebecher an, zog die Mappe hervor, die darunter lag, und klappte sie auf ihren Knien auf. »Viel Spaß!«
»Dir auch.«
Während ich die Treppe zum Strand runterlief, dehnte und streckte ich mich mit erhobenen Armen. Die Sonne schien bereits so hell, dass ich blinzeln musste. Seit das Haus fertig renoviert war, verbrachten wir beinahe jedesWochenende hier. Im Anfang war es schon schwer gewesen, das Haus auch nur zu betreten; ich hatte ziemlich oft und viel geweint, weil ich meinen Vater (plötzlich wieder) so vermisste. Doch inzwischen fiel es mir etwas leichter, herzukommen. Obwohl Fußböden, Vorhänge, Polsterbezüge anders waren als vorher, hatte man trotzdem noch das Gefühl, er wäre anwesend. Denn vieles von dem, was er an dem Haus so geliebt hatte, war geblieben: der Elchkopf über dem Kamin, die Angelruten neben der Tür, der Grill.
Doch nicht nur an der Inneneinrichtung hatte sich im Vergleich zu früher einiges
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