Zwischen Krieg und Terror
Bekannten, von denen er die Aufnahmen erhalten hat, diese im Fernsehen sehen, werde er zur Rechenschaft gezogen. Auf einer DVD, die Mahmoud zugespielt wird und die er für 10 000 Dollar verkaufen soll, verlesen Selbstmordattentäter ihre Testamente. Es sind Begründungen für die fürchterlichen Terrorakte der vergangenen Monate. Die DVD stammt von Zarqawis Leuten, die darauf eine Art Rechenschaftsbericht über ihre Aktivitäten verlesen. Monatelang wurde mit der Herausgabe der DVD gewartet. Mittlerweile jedoch haben sich die Iraker an den alltäglichen Terror vonseiten der Selbstmordattentäter und die unvorstellbare Brutalität der Anschläge gewöhnt. Mit der Veröffentlichung will Zarqawi Stärke zeigen, doch sein Name fehlt in den Erklärungen, noch bleibt er ein Phantom.
Auch Mahmoud glaubt, dass der Jordanier vor allem eine Figur der Propaganda der US-Militärs sei. Für mich ist das interessant, denn Mahmoud wohnt in einem von Untergrundgruppen kontrollierten Teil Bagdads, seine Brüder arbeiten in Falludja mit Aufständischen zusammen. Wenn in diesen Kreisen Zarqawis Existenz angezweifelt wird, dann will er nicht wirklich bekannt werden.
Doch alles ändert sich mit dem Video, auf dem die Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg zu sehen ist. Berg wurde getötet, um mit den grauenhaften Bildern Aufmerksamkeit zu erregen. Die Terroristen verbreiten die Aufnahmen per Internet, weil der arabische Sender Al Jazeera sich wenige Tage zuvor geweigert hatte, Bilder von der Ermordung des Italieners Fabrizio Quattrochi auszustrahlen. Wegen der unglaublichen Brutalität seien sie den Zuschauern nicht zuzumuten.
Die Terroristen stellen mit dem Film von der Tötung Bergs erstmals diese Art von Clips des Grauens ins Internet. Möglicherweise ist der sechsundzwanzigjährige US-Bürger auch umgebracht worden, damit die Aufnahmen der Tat für Propagandazwecke genutzt werden können. Ihre Rechnung scheint aufzugehen, da im »heute journal« des ZDF oder in der Sendung »10 vor 10« des Schweizer Fernsehens die Aufnahmen erst zu dem Zeitpunkt ausgeblendet werden, als der Täter das Messer zieht oder gar der abgeschnittene Kopf in der Bild -Zeitung gezeigt wird. Mit dieser Art Scheinheiligkeit versteckt man sich unter dem Deckmäntelchen der Pietät, obwohl der Mord selbst, wie von den Tätern bezweckt, nachvollziehbar und zudem noch das Gesicht des Opfers deutlich zu erkennen ist. Wahrscheinlich würden die verantwortlichen Redakteure anders handeln, wenn das Opfer einer ihrer Verwandten wäre.
Für Zarqawi spielt es keine Rolle, ob er tatsächlich der in den Aufnahmen gezeigte Mörder ist. Politisch zieht er Stärke daraus, dass er in der Berichterstattung für das Verbrechen verantwortlich gemacht und sogar persönlich der Tat bezichtigt wird. Das Gleiche gilt für Aufnahmen eines Sprengstoffanschlags auf Fahrzeuge der US-Armee. Auch dort soll es sich bei einem der Vermummten um ihn handeln. Für Zarqawi als dem Anführer der Terrorgruppierung, die sich durch ein Logo auf den Videos zu erkennen gibt, steht der Mobilisierungseffekt im Vordergrund. Und der ist umso gröÃer, je öfter die Aufnahmen weltweit ausgestrahlt werden. Mit der Wiederholung der Bilder erleichtern die Medien die Rekrutierung neuer Aktivisten. Flugblätter und Erklärungen können nicht annähernd Vergleichbares bewirken, denn die grauenhaften Aufnahmen werden überall auf der Welt binnen Stunden auf Hunderten von Websites verbreitet. In Zarqawis Propagandaabteilung sind Spezialisten am Werk, die immer neue Ausweichmöglichkeiten schaffen, wenn ihre Seiten blockiert werden. Sie nisten sich selbst in den USA in Websites ein und deponieren dort ihre Gewaltvideos. Auf einigen Websites kann man sich registrieren, um in ihren Verteiler aufgenommen zu werden. Neue Aufnahmen werden dann automatisch an den Interessenten weitergeleitet.
In Bagdad werden DVDs der Terroristen unter der Hand angeboten, in den Geschäften sind sie unter dem Ladentisch gelagert, fliegende Händler an den StraÃenrändern haben nur ein Tuch über den entsprechenden Stapel gelegt. Jeder kann sich an dem Geschäft beteiligen. Die Aufnahmen werden aus dem Netz geladen, auf DVD gebrannt, vervielfältigt und an die Händler geliefert. Einer von ihnen schätzt, dass in der irakischen Hauptstadt täglich Tausende dieser Bilddokumente ihre Abnehmer finden: je
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