Zwischen Krieg und Terror
in ihm einen Nachbarn, dem es sogar Schutz zu gewähren gilt. Seit Jahrzehnten setzen sich Verbrecher in die von Schmugglern kontrollierte Grenzregion zu Jordanien und Syrien ab. Auf Schmuggelpfaden treffen Freiwillige aus Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien ein, um sich am Kampf gegen die Ungläubigen zu beteiligen. In dieser Region kann Zarqawi seine Verachtung für die Schiiten voll ausleben und sich einer Gruppe Getreuer bedienen, mit denen er bereits in Afghanistan zusammengearbeitet hat, um dem Terror eine neue Wende zu geben.
Mit dem Anschlag auf den Schiitenpolitiker Ayatollah Bakir Al Hakim vor der Imam-Ali-Moschee in Nadjaf am 29. August 2003 eröffnen die Terroristen eine weitere Front im Irak und zünden dabei die Lunte für den Bürgerkrieg. In Nadjaf sterben 85 Gläubige. Anfangs werden politische Konkurrenten des Vorsitzenden des Obersten Rates der Islamischen Revolution (SCIRI) im Irak hinter dem Verbrechen vermutet. Doch in den kommenden Monaten häufen sich die Anschläge auf Schiiten, ohne dass Politiker oder religiöse Würdenträger zu den Opfern gehören. Es handelt sich um Terroraktionen gegen Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel, im Irak einen Krieg zwischen den beiden groÃen Glaubensrichtungen des Islam zu entfachen.
Ein halbes Jahr später zünden Attentäter während der schiitischen Aschura-Feiern vor den Heiligtümern in Kerbala und dem Bagdader Vorort Kadhimiyah ihre Bomben inmitten der Gläubigen. Für die Mehrheit der Schiiten steht fest, dass sunnitische Fanatiker dahinterstecken. Religiösen Würdenträgern gelingt es soeben noch, aufgeputschte Gemüter, die nach Vergeltung für die 180 Toten rufen, zu beruhigen.
Zarqawi ist der ideologische Mentor des Terrors gegen die Schiiten. In einer Videobotschaft lässt er seinem Hass freien Lauf: »Die Schiiten haben den Koran verfälscht, die Gefährten des Propheten beleidigt, die Mütter der Gläubigen gemeuchelt, die Gemeinde der Gläubigen abgelehnt und ihr Blut vergossen. Sie haben groÃe Sünden begangen und sind in alle Arten von Aberglauben, Lügen und Legendenbildung verstrickt.« Er bezichtigt die Anhänger der anderen Glaubensrichtung des Verrats und verunglimpft sie als »Stachel im Rachen« und »Messer im Rücken« der wahren Gläubigen. In seiner Hetztirade wirft er den Schiiten vor, zu vergewaltigen und zu morden und Osama bin Laden als Lakai der Amerikaner zu bezeichnen. Dabei seien gerade die Schiiten den USA zu Diensten, insbesondere der ermordete Mohammad Bakir Al Hakim, dessen Männer die Kämpfer des Widerstands weiter verraten würden. Zwar sei Saddam Husseins Herrschaft durch die US-Truppen beendet worden, doch jetzt komme die Zeit der Kämpfer des Islam. Zarqawi ruft zum heiligen Krieg auf, um die Pläne des Westens im Irak zunichte zu machen. »Das Scheitern im Irak wird sich als Katastrophe für den gesamten Westen erweisen.« 5 Sein Ziel ist klar: Mit Terror will er alle Versuche, einen neuen, demokratischen Irak aufzubauen, schon im Keim ersticken.
Bei solch einer Politik kann der jordanische Terrorist mit Unterstützung der radikalen Kräfte auf der arabischen Halbinsel, in Jordanien und Syrien, ja selbst in Nordafrika rechnen. In Jordanien erzählt mir ein Kollege, dass reiche Araber Zarqawi mit Millionenbeträgen unterstützten. Selbst wohlhabende Geschäftsleute mit den besten Beziehungen nach Europa und in die USA würden an ihn zahlen, da ihrer Ansicht nach Zarqawi der Einzige sei, der einen Erfolg der USA im Irak verhindern und den Einfluss der Schiiten auf die Politik des Landes begrenzen könne. Mich überraschen die Informationen, doch sie decken sich mit Beobachtungen anderer, denen zufolge die Terroristen groÃe Unterstützung vor allem aus Saudi-Arabien erhalten.
Für viele reiche Saudis entwickelt sich Irak zum Schauplatz der Auseinandersetzung, auf dem die Zukunft der Region entschieden wird. Scheitert der Versuch der USA, den Irak zu demokratisieren, so werden konservativen politischen Systemen wie dem in Saudi-Arabien zunächst einmal die Bemühungen der USA, Ãnderungen zu erzwingen, erspart bleiben. So können die Gegner der USA mit dem Beistand aller demokratiefeindlichen Kräfte der Region, also auch der sunnitischen Nachbarstaaten Iraks, rechnen. Je gröÃer die Furcht vor einer Demokratisierung der eigenen Gesellschaften
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