Zwischen Krieg und Terror
brutaler die Szenen, desto gröÃer das Interesse und desto stärker die Bewunderung. Zarqawi spielt mit der Konkurrenz unter den Medien und der sadistischen Neugier von Zuschauern und Lesern. Denn welcher gewaltbereite Jugendliche träumt angesichts seines elenden Alltags in einer Vorstadt Bagdads nicht davon, auch einmal als vermummter Kämpfer in so einem Video aufzutreten oder vor laufender Kamera ein Testament zu verlesen, mit dem er nach dem eigenen Tod scheinbar weltweiten Ruhm erringen kann? Zarqawi beutet Gefühle aus, um sein Netzwerk des Terrors mit groÃer Geschwindigkeit immer weiter zu spannen. Dazu gehört auch die Ermordung des US-Ingenieurs Eugene Armstrong, die in einem Video gezeigt wird. Doch als dem Briten Ken Bigley im Oktober 2004 die Kehle durchgeschnitten wird, erlahmt das Interesse an der Ausstrahlung.
Diese Selbstbeschränkung der Redaktionen ist jedoch erst dann zu beobachten, als den Dokumenten der Barbarei das Sensationelle abgeht. Bei Zarqawi hat dieses Mittel mittlerweile längst ausgedient. Heute sind es andere Organisationen aus dem Irak, die Morde an Gefangenen im Netz platzieren. Es ist eine Internetkultur der Terroristen entstanden. In einigen Fällen können Videos nur bei einer Zahlung per Kreditkarte heruntergeladen werden. Anschläge und Mordaktionen sind mit religiösen Gesängen unterlegt. Den Zuschauern wird ein Platz im Paradies versprochen, sollten sie einen solchen Anschlag unternehmen.
Welche Auswirkungen die Ausstrahlung von Videos für die Opfer haben kann, zeigen Beispiele, bei denen Fristen gesetzt werden. Denn das von den Terroristen genannte Ultimatum beginnt in einigen Fällen erst mit der Veröffentlichung des Clips. Dadurch können Korrespondenten und Redakteure das Schicksal von Entführten mit beeinflussen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass eine Ausstrahlung für die Rekrutierung neuer Aktivisten genutzt wird.
Arabische Sender erweisen sich im Sommer 2004 als anfällig, Teile von Ermordungsclips auszustrahlen - wohl auch, weil sich mit ihnen die Einschaltquoten erhöhen lassen. Denn im Gegensatz zu den Europäern sind die Zuschauer in der arabischen Welt nach wie vor an Politik interessiert. Während Nachrichtenkanäle in Europa ein Nischendasein fristen, sind entsprechende Sender im Mittleren Osten Spitzenreiter in der Gunst des Publikums. So lässt sich die Ausstrahlung eines Terroristenvideos in einem arabischen Sender durchaus mit der Ausstrahlung einer Pornoszene in einem europäischen Kanal vergleichen. Ohne das Internet hätten die Terrorgruppen gar nicht so schnell wachsen können. Denn auf den Websites sind nicht nur Aufnahmen von Anschlägen zu sehen, sondern auch Anleitungen zum Bombenbau und zur Positionierung von Sprengstoff-fallen. Mitglieder und Sympathisanten können sich im Internet schulen. Auch die Leute Zarqawis nutzen diese »Fernuniversität des Terrors«. Und dieser wiederum redet seit dem Frühjahr 2004 mehrmals monatlich zu seinen Anhängern, die sich die Ansprachen im Internet herunterladen können. Zu wichtigen Ereignissen werden Aufnahmen mit den Botschaften Zarqawis dem Fernsehsender Al Jazeera zugespielt. Im Stil Osama bin Ladens ruft er zum Kampf gegen die Ungläubigen auf. Dazu sei jedes Mittel recht, um sie und ihre Helfer zu vertreiben. Auch im Internet wird die Auseinandersetzung geführt. Denn die Websites mit den Auftritten oder Erklärungen Zarqawis sind nicht mehr anzuklicken, ohne dass der Nutzer erfährt, wer die Seiten eventuell blockiert.
Desgleichen dient das Internet als Vehikel für Debatten über religiöse Werte oder militärische Taktiken. Im Frühjahr und Sommer 2005 legt sich Zarqawi in mehreren Reden mit seinem ersten religiösen Lehrmeister, dem jordanischen Prediger Abu Mohammad Al Magdisi, an. Dieser kritisiert auf seiner Website die Anschläge im Irak, weil bei Attentaten mit Autobomben oder dem Beschuss von StraÃen oder Plätzen, an denen sich Moslems träfen, auch unbeteiligte Zivilisten getötet würden. Zudem sei es nicht richtig, eine Front gegen die Schiiten aufzubauen. 8 Nur wenige Tage später kann der Scheich die Antwort Zarqawis im Netz herunterladen, in der es heiÃt, die Schiiten seien »nicht länger normale Menschen in dem Sinne, wie du es verstehst, weil sie die Truppen der ungläubigen Besatzer stellen und als Spione gegen die Kämpfer des Jihad
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