Zwischen Krieg und Terror
bekannt werden. Bei dem Toten vor der Tür des Hauses der Familie Al Najar kann es sich um eine Aktion von Terroristen handeln. Das Opfer ist unbekannt und stammt nach Hossams Einschätzung zumindest nicht aus der StraÃe oder der näheren Umgebung. Im Kleinkrieg der Stadtviertel überschneiden sich die unterschiedlichsten Konfliktlinien. Neben den gegenseitigen Ressentiments von Sunniten und Schiiten, dem Aufbrechen alter persönlicher Feindschaften, spielt der Kampf um die Macht im Staat eine wesentliche Rolle. Seit dem Sturz Saddam Husseins bestimmen Schiiten erstmals die Politik im Irak und versuchen dank ihrer neuen Privilegien ihre Parteigänger in die bisher von Sunniten besetzten Schlüsselpositionen des Staatsapparats zu hieven. Auch diese Auseinandersetzungen übertragen sich auf die Stadtteile, wo sie von den Terroristen genutzt werden können.
Erneutes Eingreifen von US-Soldaten
Stunden nach einem überraschenden Besuch von George W. Bush in Bagdad am 13. Juni werden irakische Sicherheitskräfte in Bagdad zusammengezogen. Die neu aufgebauten Einheiten von Armee und Polizei sollen beweisen, dass sie auch ohne die Amerikaner Ruhe und Ordnung in der Hauptstadt aufrechterhalten können. Wenn Iraker allein auftreten, werden sie die Probleme einfacher lösen können, so die groÃe Hoffnung bei den Regierungen in Bagdad und Washington. Der US-Präsident will seine Kritiker im heimischen Kongress mit einem groÃen Erfolg zum Verstummen bringen. SchlieÃlich soll den Abgeordneten ihre Zustimmung zur Bereitstellung von weiteren vierzig Milliarden Dollar für den Krieg gegen den Terror abgerungen werden.
Aber die irakischen Soldaten und Polizisten sind einer Gegenoffensive von Aufständischen und Terroristen nicht gewachsen.
Täglich wird die Zahl der Opfer gröÃer, zu Mord und Vertreibungen in den einzelnen Stadtteilen kommen verstärkt Anschläge auf belebte Plätze, Märkte und Restaurants hinzu. Selbstmordattentäter zünden ihre Sprengstoffgürtel in der Menge und reiÃen völlig Unbeteiligte in den Tod. Diese Skrupellosigkeit deutet auf Al Kaida, ebenso aber kann es sich bei den Tätern um Anhänger Saddam Husseins handeln, denen jedes Mittel recht ist, um einen Erfolg von Ministerpräsident Nuri Al Maliki zu verhindern. Dieser ist sich nicht nur der Gefahr des eigenen Scheiterns bewusst, sondern für ihn steht bei dem Einsatz zur Befriedung Bagdads auch das Schicksal des Landes auf dem Spiel. Al Maliki sieht die laufende Schlacht gegen die Terroristen als »letzte Chance«, denn »sollten wir in diesem Kampf scheitern, wird es keinen Irak mehr geben«. 2
Direkt nach seiner Amtseinführung hat der Ministerpräsident eine Kampagne zur »nationalen Versöhnung« gestartet. Er will die Sunniten für eine Zusammenarbeit mit der Regierung gewinnen und die Aufständischen politisch isolieren. Dazu gehört auch, dass 2500 Gefangene freigelassen werden sollen, die seit Monaten ohne Anklage festgehalten werden. US-Soldaten haben die meisten von ihnen nach Anschlägen oder bei Durchsuchungen festgenommen. In vielen Fällen bestehen nicht einmal konkrete Vorwürfe gegen Häftlinge. Deren Inhaftierung versucht eine Pentagonsprecherin damit zu erklären, dass es sich bei Unschuldigen um Personen handle, die »zur falschen Zeit am falschen Ort waren«. Insgesamt sitzen in den Gefängnissen etwa 15 000 Sunniten. Einige von ihnen wurden sogar in Geheimverliesen des Innenministeriums gefoltert, wenn nicht gar ermordet. Mit der Freilassung von Gefangenen will Maliki den Führern oppositioneller Sunnitengruppen eine Teilnahme an den Gesprächen erleichtern.
Doch dann schaffen es die Vertreter der verschiedenen Parteien nicht einmal, eine arbeitsfähige Kommission zur nationalen Aussöhnung zustande zu bringen. Wie bei früheren Verhandlungen können sich die Politiker auf keinen gemeinsamen Plan einigen, den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten zu beenden. Zwar kommen Vertreter der Parteien zu den »Versöhnungstreffen« in die von US-Truppen geschützte »Grüne Zone«, doch Minister oder Abgeordnete wissen dabei schon von vorneherein, dass sie keinen Konsens erzielen werden. 3 Die Milizen der an den Gesprächen Beteiligten sind nicht weit entfernt mit der Ausweitung ihrer Einflusszonen in den Vororten Bagdads beschäftigt. Schiiten, Sunniten und Kurden überlegen bereits,
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