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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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wie sie die Macht und die Reichtümer des Landes untereinander aufteilen können. Fünf Wochen nach der Abreise des US-Präsidenten und dem Aufmarsch der irakischen Sicherheitskräfte zur Beruhigung Bagdads erreicht die Gewalt in den Straßen der Hauptstadt ihren Höhepunkt. Täglich sterben etwa hundert Menschen. Immer öfter werden Passanten erschossen, nur weil es sich um Anhänger der jeweils anderen Glaubensrichtung handelt.
    Völlig verunsichert angesichts der sich widersprechenden Meldungen, rufe ich einen Kollegen in Bagdad an und bitte ihn um eine Lagebeurteilung. Handelt es sich bei den Attentaten um ein letztes Aufbäumen der Untergrundgruppen, die ihre Niederlage kommen sehen, oder reichen nicht einmal 50 000 Polizisten und Soldaten, um die Aufständischen in Schach zu halten? Der lacht resigniert und macht sich dann auf sarkastische Weise über die Polizisten Luft: »Wenn du sie für Überfälle mieten kannst, darfst du doch nicht erwarten, dass sie bereit sind, gegen zu allem entschlossene Kommandos der Aufständischen zu kämpfen.«
    Mir war schon vor dem Telefonat die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte bewusst. Ohne direkte Unterstützung durch die US-Armee sind nur wenige irakische Bataillone einsatzfähig, wobei sich insbesondere bei der Armee das Fehlen der Sunniten bemerkbar macht. Ganze Einheiten werden ausschließlich von Schiiten gebildet und sind damit in der Sunnitenregion nicht einsetzbar. Denn gingen Schiitentruppen in einem Sunnitenviertel gegen Aufständische vor, so würden die daraus resultierenden Auseinandersetzungen sehr schnell zu einem Krieg zwischen Anhängern der beiden Glaubensrichtungen eskalieren. Unter solchen Bedingungen kann auch ein noch so großes Aufgebot keinen Erfolg bringen.
    Die Regierung in Washington steht Mitte Juli vor einer weit reichenden Entscheidung. Würden die Truppen wie geplant Schritt für Schritt aus dem Irak abgezogen, so wäre die Ausweitung des Bürgerkriegs vor allem in Bagdad nicht mehr aufzuhalten. Sollten US-Verbände in die innerirakischen Auseinandersetzungen eingreifen, so müsste die Anzahl der im Irak stationierten Truppen noch einmal erhöht werden. Präsident Bush gibt sich nicht geschlagen. Nach einer Konferenzschaltung mit Generälen im Irak entscheidet er sich gegen einen Rückzug und für eine stärkere militärische Präsenz der Amerikaner. Damit muss die Regierung in Washington das Scheitern ihrer Bemühungen eingestehen, den Irakern schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit zu übertragen. Der Plan, Truppen aus dem Irak abzuziehen, ist folglich hinfällig.
    Ende Juli vereinbaren Bush und Iraks Ministerpräsident Maliki einen neuen Sicherheitsplan für die irakische Hauptstadt. Weitere 4000 US-Soldaten werden nach Bagdad verlegt. »Wir müssen gewinnen«, lautet das Motto, unter dem die neuen Einheiten aufgeboten werden. Die Amerikaner errichten Straßensperren und verstärken die Kontrollen zwischen verschiedenen Stadtteilen. Innerhalb weniger Tage gelingt es ihnen, den Krieg zwischen Schiiten und Sunniten einzudämmen. Aber der schwelt weiter, nahezu täglich werden verstümmelte Opfer der Todesschwadrone gefunden und Menschen aus ihren Häusern vertrieben.
    Maliki unternimmt einen neuen Anlauf, seinen Plan von einer nationalen Versöhnung wiederzubeleben. Sechshundert Stammes- und Clanführer versammeln sich Ende August in Bagdad und verständigen sich darauf, ein Konzept zu erstellen, wie die Kämpfe zwischen den verschiedenen religiösen und politischen Gruppen und die Vertreibungen beendet werden sollen. Damit ist allerdings noch keine Wende im Bürgerkrieg erreicht, da die Stämme sich weder bereit erklären, die Kämpfe einzustellen, noch in Zukunft die Regierung zu unterstützen. Aber auch dies konnte keine Wende im Bürgerkrieg einleiten. Solch grundlegende Schritte darf man auch nicht erwarten. Denn die Vertreter der Stämme setzten schon mit ihrer Teilnahme an einem Versöhnungstreffen ein wichtiges Zeichen. Genauso wie sie ihren Willen zur Zusammenarbeit bekunden, wollen sie im Gegenzug auch eigene Forderungen durchsetzen. In deren Zentrum stehen eine wirkliche Beteiligung an der Macht und die stärkere Berücksichtigung bei der Zuteilung von maßgeblichen Funktionen im Staatsapparat. Nur auf diesem Wege können die Vertreter der Stämme

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