Zwischen Krieg und Terror
den Einfluss von Kämpfern Al Kaidas geraten, ähnlich wie es in Afghanistan den Taliban gelungen war. Während die Grenzen zwischen Sunniten und Schiiten bereits weitgehend gezogen sind, zeichnet sich eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen Kurden und sunnitischen Arabern um die Erdölfelder von Kirkuk und Teile der nordirakischen Stadt Mosul ab. Für die Kurden sind die Ãlvorkommen deshalb so entscheidend, weil deren Kontrolle sie dazu befähigt, überhaupt einen lebensfähigen Staat bilden zu können.
Politisch sind die Kurdengebiete bereits von den anderen Teilen Iraks getrennt. Schritt für Schritt wird eine Abspaltung vorbereitet. Seit September 2006 ist sogar das Hissen der irakischen Flagge untersagt. Massoud Barzani, der Präsident der Autonomen Kurdenregion und Vorsitzender einer der beiden groÃen kurdischen Parteien, verfügte per Dekret, dass vor Behörden, Kasernen und Polizeistationen nur noch die gelbe Fahne der Kurden mit der einundzwanzigzackigen Sonne aufgezogen werden darf. Praktisch werden die drei Provinzen bereits seit 1991 nicht mehr von Bagdad aus kontrolliert. Seit dem Sturz Saddam Husseins erhält die Kurdenregierung jedoch genügend Geld, um eine getrennte Entwicklung der Region auch finanzieren zu können. Siebzehn Prozent der Ãleinnahmen des Landes werden direkt an die Kurden überwiesen. Dem Präsidenten unterstehen die Polizei und bestens bewaffnete Peshmerga-Verbände, die rund 60 000 Mann zählen. Diese gut ausgebildeten Kämpfer sind den Sicherheitskräften der Regierung überlegen.
Im Südirak bereiten die Schiiten nach kurdischem Muster die Bildung einer autonomen Region vor. Zwar gibt es konkurrierende religiöse Führer und verschiedene politische Splittergruppen, doch acht der neun südirakischen Provinzen und der Stadtrat von Bagdad werden vom Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak (SCIRI) kontrolliert. Die Organisation wurde 1982 im Iran gegründet und orientiert sich politisch an der Islamischen Republik. Ihr Vorsitzender Abdul Aziz Al Hakim setzt sich ausdrücklich für eine Autonomie der Schiitengebiete ein. Er erinnert an die Unterdrückung der Schiiten während der Herrschaft Saddam Husseins und sieht in einer Autonomieregelung eine Garantie, dass sich das »Unrecht der Vergangenheit nicht wiederholt« 7 . Systematisch baut Al Hakim die Machtpositionen der SCIRI aus. Der Schiitenführer ist in der Endphase des Krieges aus dem iranischen Exil in den Südirak zurückgekehrt. Er strebt kein Staatsamt an, sondern beeinflusst aus dem Hintergrund die wichtigsten Entscheidungen in Bagdad.
Nach dem Sturz Saddam Husseins arbeitete er eng mit US-VERWALTER Bremer zusammen, um eine Vormachtstellung der Schiiten in der von den USA eingesetzten Ãbergangsregierung zu sichern. Mit der Badr-Organisation verfügt auch die SCIRI über eine eigene Milizen, deren sich die Organisation bedienen kann - was sie auch tut -, um politische Gegner oder Konkurrenten auszuschalten. Offiziell haben die Badr-Angehörigen zwar ihre Waffen abgegeben, doch in der Realität sind in der von iranischen Revolutionswächtern aufgebauten Miliz Kommandos von Todesschwadronen am Werk, die einen Kleinkrieg gegen Sunniten führen. Mit Entführungen, Folter und Mord tragen diese Terrorgruppen neben radikalen Sunniten und den Al-Kaida-Terroristen die Hauptverantwortung für den Bürgerkrieg. Systematisch dehnt die SCIRI ihre Macht aus. Nach dem Weggang ausländischer Truppen aus Südirak verstärkt die Organisation dort ihre Kontrolle. So schickt Hakim seinen Sohn Amar nach Samawah, um die Macht der SCIRI in der Provinz zu festigen, aus der die Japaner abgezogen sind.
Während andere Politiker die Bürgerkriegsparteien zur Zurückhaltung aufrufen, appelliert Hakim an die Bewohner einzelner Stadtteile, Bürgerwehren zu bilden. In Bagdad folgen ihm Tausende vor allem junger Männer und marschieren durch die StraÃen der Hauptstadt. In Sprechchören fordern sie die Vernichtung der sunnitischen Terroristen und der Anhänger Saddam Husseins. Hakim begründet den Aufbau von Bürgerwehren mit der Schwäche des staatlichen Sicherheitsapparats. Sie sollen, unabhängig von ihrer religiösen Orientierung und Herkunft, die Bevölkerung der einzelnen Stadtteile schützen. Ausdrücklich lehnt Hakim den Einsatz ausländischer Truppen zur Beendigung des Bürgerkriegs
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