Zwischen Leidenschaft und Liebe
empfunden hat. So stellte ich ihn mir vor, ehe ich ihn kennenlernte, und nun bin ich sicher, daß er auch so ist. Ich möchte nie mehr etwas von ihm hören.«
Harry runzelte die Stirn und sah auf sein Whiskyglas hinunter. »Wie du willst«, sagte er leise.
24. Kapitel
Als Claire das Klopfen an ihrer Tür hörte, meinte sie, es sei der Lakai, der ihre Koffer nach unten tragen sollte. Seit Nyssas Tod waren vier Tage vergangen, und sie hatte beschlossen, daß es Zeit war, Harrys Haus zu verlassen. Harry hatte versucht, mit ihr über einen Heiratstermin zu sprechen, aber Claire war zu niedergeschlagen gewesen, um darüber nachzudenken. Sehr zum Leidwesen ihrer Eltern hatten sowohl Claire wie Sarah Ann Trauerkleider angelegt. Doch in den letzten paar Tagen hatten ihre Eltern über vieles geklagt. Weder ihre Mutter noch ihr Vater wollten Bramley verlassen.
»Ich sehe nicht ein, warum du nicht hier heiraten kannst«, sagte Arva. »Ich mag dieses Haus, und ich möchte hierbleiben.«
Claire hatte zu ihr gesagt, daß sie abreisen müßten und nicht länger in diesem Haus bleiben könnten. Arva hatte sich beschwert, daß ihre beiden Töchter wie Nonnen aussähen in ihren schwarzen Kleidern. Und daß es ein Wunder wäre, daß der Herzog Claire noch immer heiraten wollte.
»Es gibt Hunderte von schadhaften Dächern in Großbritannien«, hatte Claire erwidert. »Jeder möchte mich heiraten.« Arva hatte verlangt, daß sie diese Bemerkung näher erläutern solle, aber Claire fand es nicht der Mühe wert, ihr diesen Gefallen zu tun.
Als Claire die Tür öffnete, stand nicht der Lakai, sondern Leatrice im Flur. Claire lächelte. Leatrice sah wunderbar aus. Ihre Wangen waren gerötet, und sie trug ein sehr hübsches, schlichtes blaues Kleid.
Leatrice trat vor und küßte Claire auf die Wange.
»Sie sehen blendend aus«, sagte Claire. »Die Ehe bekommt Ihnen.«
»In der Tat. Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr sie mir bekommen würde. James und ich haben so viele gemeinsame Interessen.«
Claire lächelte. »Ich freue mich sehr für Sie.« Ihr wollte nicht mehr einfallen, was sie noch zu Leatrice sagen konnte, und sie wandte sich wieder ihrem Koffer zu. »Ich bin froh, daß ich Sie noch sehe, bevor ich abreise.«
Leatrice trat zu Claire und legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich bin hier, um mit Ihnen zu reden. Harry hat mir geschrieben.«
»Wie freundlich von ihm.«
Leatrice legte Claire die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. »Harry macht sich große Sorgen um Sie. Er sagt, es würde ein großes Unrecht geschehen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein könnte.«
Leatrice musterte Claire mit einem harten Blick, und ihre Augen erinnerten Claire an Trevelyan.
»Ich muß jetzt wirklich weiterpacken. Ich habe noch soviel zu tun. Meine Familie hat Eure Gastfreundschaft zu lange ausgenutzt. Viel, viel zu lange.«
»Ich möchte Ihnen etwas von Trevelyan und meiner Mutter erzählen«, sagte Leatrice.
Claire hielt einen Moment die Hände still, ehe sie sich wieder mit ihrem Koffer beschäftigte. »Ich habe wirklich keine Zeit mehr zu verlieren. Der Lakai wird jeden Moment hier sein, und ich muß den Koffer fertig haben.«
»Niemand kommt, um Ihre Koffer abzuholen. Ich habe ihnen gesagt, daß sie warten sollen.«
»Aber ich muß abreisen«, erwiderte Claire. »Ich kann nicht mehr hierbleiben. Ich muß weg. Ich muß .. .«Ihre Stimme verebbte, weil sie wußte, daß es sinnlos war, mit Leatrice zu streiten. Sie wollte hören, was Leatrice ihr zu sagen hatte, und gleichzeitig fürchtete sie sich davor. Im Grunde war ihr nur noch eines wichtig: dieses Haus zu verlassen, das so viele gute und gleichzeitig so viele schreckliche Erinnerungen für sie barg.
Langsam ging Claire zu einem Stuhl, setzte sich und blickte Leatrice erwartungsvoll an.
Leatrice holte tief Luft. »Ich wollte hier nie mit meiner Mutter zusammen wohnen und niemals diese feige alte Jungfer sein, die Sie kennengelernt haben. Aber Haß kann genauso stark sein wie Liebe. Vielleicht sogar stärker. Der Haß kann die Menschen genauso Zusammenhalten wie die Liebe. Meine Mutter und ich - wir haben uns gehaßt.«
»Ich glaube nicht, daß Sie das von Ihrer Mutter sagen sollten«, bemerkte Claire.
»Ich sage lediglich die Wahrheit. Ich wußte etwas über meine Mutter, was niemand sonst wußte, und sie haßte mich deswegen.«
Claire schwieg.
»Sie haben etwas für mich getan, was ich Ihnen niemals zurückzahlen kann. Sie haben mir etwas
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