Zwischen Licht und Dunkel
„Mittelname“. Er empfiehlt sich zur besseren Unterscheidung insbesondere bei sehr geläufigen Namen. Der Isländer meiner Wahl heißt mit vollem Namen Stefán Helgi Valsson. Name: Stefán, Mittelname: Helgi, Vatername: Valsson. Oder Stefán Helgi, Sohn von Valur. Dass der Vatername als Valsson und nicht Valurson ausfällt, ist eine grammatikalische Tücke, die ich nicht weiter vertiefen will.
Meinen eigenen Familiennamen wollte ich schon immer vor dem Aussterben retten. Das ist mir ohne eigenes Zutun gelungen. Denn auf Island ist es der Regelfall, dass auch frau ganz automatisch ein Leben lang den Namen beibehält, mit dem sie geboren ist. Eine Heirat ändert daran nichts. Das ist eigentlich nur logisch, denn man kann nicht wirklich Sohn oder Tochter eines anderen werden. Gut, hin und wieder kommt es vor, dass eine nicht-isländische Ehefrau den Vaternamen ihres isländischen Mannes annimmt. Allerdings habe ich den Eindruck, dass derartiges vor allem dann geschieht, wenn sich ein Isländer im Ausland – wo er gerade studiert oder arbeitet – eine Nicht-Isländerin angelt. Einer deutschen Freundin, die seit ein paar Jahren ebenfalls auf der Insel lebt, ist genau das „passiert“. Sie lernte ihren Isländer in der alten Heimat kennen und heiratete ihn dort. Obwohl sie ihren Mädchennamen hätte behalten können, nahm sie den Vaternamen ihres Mannes als Nachnamen an. Vor allem wegen der zu erwartenden Kinder wollte sie keine Namensverwirrung stiften. Zu diesem Zeitpunkt war es allerdings überhaupt nicht zur Diskussion gestanden, irgendwann einmal nach Island überzusiedeln …
Was mich betrifft, bin und bleibe ich auf alle Fälle die Ursula Spitzbart. Fast einmalig in Deutschland und ganz bestimmt auf Island. Auch wenn ich meinen Stefán einmal heiraten sollte, würde mich das nicht zum „Sohn von Valur“ machen. Bislang sind wir beide amtlich registriert als Lebensgemeinschaft. Auf Island haben nämlich nicht nur die Pferde eine fünfte Gangart, den für den Reiter erholsamen, da rückenschonenden Tölt. Es gibt auch einen fünften, ganz offiziellen Familienstand neben ledig, verheiratet, geschieden und verwitwet. Die eingetragene Lebensgemeinschaft, die allerdings so bindend ist, dass eine amtliche Trennung wohl nicht weniger kompliziert ausfällt als das bei einer „regulären“ Ehe der Fall ist.
Einer solchen Lebensgemeinschaft entspringt auch die gute Hälfte aller Islandkinder. Lediglich ein Drittel des Nachwuchses kommt hier innerhalb einer „echten“ Ehe auf die Welt. Der Rest hat Single-Eltern. Somit gibt es auf Island deutlich mehr „uneheliche“ Kinder als in anderen europäischen Ländern. Das macht aber nichts, niemand hat hier ein Problem damit. Und es wird auch kaum einen Vater geben, der sich nicht zu seinem Sprössling bekennt. Im Gegenteil, meistens ist er sehr stolz auf ihn, und das ganz unabhängig davon, wie das zukünftige Verhältnis zur Kindsmutter ausfällt. Für den Fall aber, dass ein Kindsvater unbekannt ist oder es doch einmal bleiben soll, gibt es eine Lösung. Wie sich das im Zuge der Gleichberechtigung für eine moderne Gesellschaft gehört, kann das Kind anstelle eines Vaternamens auch den Namen der Mutter tragen. Guðrúnardóttir, Katrínsdóttir, Önnudóttir. Mir ist zu Ohren gekommen, dass früher eine andere Variante gängig gewesen sein soll. So manch ein amerikanischer oder britischer Soldat, der während des Zweiten Weltkrieges auf Island stationiert war, ließ nämlich nach Kriegsende wissentlich oder unwissentlich ein Kind auf der Insel zurück, das womöglich noch gar nicht geboren war. Dann wurde als Vatername gerne ein Hermannsson/dóttir oder Hansson/dóttir gewählt. Denn Hermann und Hans sind zum einen so wie in Deutschland ganz normale Vornamen. Sie lassen sich aber auch anderweitig auslegen: Hermann bedeutet „Heermann“, also Soldat, und Hans ist das Possesivpronomen „sein“. Somit könnte es sich auch um ein „Soldatenkind“ oder ganz einfach „sein Kind“ handeln. Mit diesem Trick konnte man die Abstammung sehr elegant vertuschen.
Meine Schwiegermama ist solch ein Kriegskind. Sie hat jedoch den Familiennamen ihres schottischen Vaters erhalten, MacCleave. Dabei ist sie durchaus nicht der einzige Isländer mit einem „normalen“ Nachnamen. Die sollen inzwischen sogar recht begehrt sein. Wer die Möglichkeit hat, einen „echten“ Nachnamen anzuheiraten, wird es vielleicht tun. Jedenfalls mischen sich unter die vielen Söhne und
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