Zwischen Licht und Dunkel
Töchter immer wieder zum Beispiel Blöndals, Schrams, Briems, Schevings oder Thoroddsens. Möglicherweise haben sich diese Namen im 19. oder 20. Jahrhundert eingebürgert, als sich hier so etwas wie eine besitzende Klasse herauszubilden begann, und seitdem weitervererbt. Solche Namen klangen einfach besser. Oder leiten sie sich schlicht und einfach aus der früheren engen Verbindung zu Norwegen oder Dänemark her? Nicht nur, dass Islands erste Siedler aus Norwegen kamen, allen voran Ingólfur Arnarson, dem die Ehre des ersten offiziellen „Landnehmers“ zuteil wird. Zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert (1262 bis 1380) stand die Insel für ein gutes Jahrhundert unter norwegischer Krone. Dann übernahmen die Dänen das Zepter und gaben es über fünfhundert Jahre lang (1380 bis 1944) nicht mehr aus der Hand. Seit 1944 steht Island als unabhängige Republik auf eigenen Beinen.
Als sich bei uns ein Kindlein ankündigte, war seine Namenswahl die erste Herausfordung, vor die es uns stellte. Das soll ja sogar in Deutschland nicht ganz einfach sein. Da wir nicht vorzeitig ins Päckchen schauten, galten die gedanklichen Vorbereitungen gleichermaßen Ihm und Ihr. Auch außerhalb Islands musste der Name brauchbar sein! Das war die Grundbedingung. Also international und daher auf Anhieb verständlich, aussprechbar, lesbar und schreibbar. Ohne wundersame Buchstaben und nicht ins Lächerliche oder Peinliche wandelbar. Eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Und eine Endung auf „-a“ oder „-i“ ist angesichts des isländischen Grammatiksystems am einfachsten.
Der Frauenname Sóley zum Beispiel, richtig ausgesprochen Sol-e-i, gefiel mir gut. Er bedeutet wörtlich „Sonneninsel“, ist aber auch die Butterblume. Auf deutsch gelesen würde er wahrscheinlich zum „Sol-ei“ verkommen. Das durfte ich meinem Kind nicht antun. Damit war er bei der Namenswahl durchgefallen. Die Bärin Birna wird zur Birne oder gar zum Apfel. Wie wäre es mit Geir oder noch besser Ásgeir für einen Buben? Mörður oder Sveinn? Auch Ketill „Kessel“, Jökull „Gletscher“, Hringur „Kreis“ oder Ormur „Wurm“ waren keine wirklichen Alternativen.
Generell sind Namen mit engem Bezug zur Natur weit verbreitet, zum Beispiel Líf „Leben“, Dagur „Tag“ und Máni „Mond“. Steinn „Stein“, Berglind „Bergquelle“ und ganz besonders isländisch Frosti „Frost“. Aus dem Tierreich stammen Þröstur „Drossel“, Úlfur „Wolf“ und Svanur „Schwan“. Der Pflanzenwelt entspringen Blumen wie Lilja „Lilie” und Rós „Rose“; die Bäume Ösp „Espe“, Víðir „Weide“ und Reynir „Eberesche“. Die Kindlein von heute dürfen allerdings auch mit Internationalem rechnen. Kleine Mädchen werden gerne Sara, Anna, Katrín, María oder Eva getauft. Beliebt für Buben sind Aron, Daníel, Alexander, Gabríel oder Tómas. Als doppelte Vornamen sind Eva María beziehungsweise Sindri Snær führend. Doch Taufname hin oder her, schnell eingeführt sind auch Spitznamen. Palli, Lalli, Halli. Aus Stefán wird traditionell Stebbi.
Lange lebte ich in dem Glauben, auch Heyrðu sei ein männlicher Vorname, wie etwa Hjörtur oder Hörður. Jedenfalls hatte sich meistens auf Heyrðu hin jemand umgedreht. Als dieser jemand dann plötzlich eine Frau war, wurde ich doch stutzig und stellte vorsichtige Nachforschungen an mit folgendem Ergebnis: Heyrðu ist nichts anderes als ein „Hey du!“, die Verlegenheitsanrede, wenn man den Namen seines Gegenübers nicht kennt.
Wir bekamen schließlich eine Anna Karlotta. Einen Bubennamen hatten wir bis zum Schluss nicht parat. Auf Island geboren und mit einem isländischen Elternteil, bekam sie automatisch die doppelte Staatsbürgerschaft verpasst. Im Papaland heißt unsere Tochter offiziell Anna Karlotta Stefánsdóttir. Im deutschen Kinderreisepass ist Stefánsdóttir dagegen als dritter Vorname eingetragen und ihr Nachname ist Spitzbart, so wie Mama. Das würde den Erklärungsbedarf bei Passkontrollen außerhalb Islands erwiesenermaßen senken, wurde uns erklärt.
„Was, ihr habt schon einen Namen?“ Wie wurde gestaunt, als wir bereits unmittelbar nach Annas Geburt unsere Wahl bekannt gaben. Mini-Isländer bleiben nämlich häufig bis zur Taufe namenlos und erst zum großen Ereignis wird der Familie enthüllt, wie der Nachwuchs heißen soll. Ich glaube gar, dass sich viele Eltern erst dann endgültig entscheiden – ganz nach dem allgemeingültigen Prinzip „auf die letzte Sekunde“. 1
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