Zwischen Licht und Dunkel
Kronen entsprachen knapp 12 Euro. Ab Ende 2007 änderte sich jedoch die Lage, die Talfahrt der Landeswährung hatte begonnen. Im März 2008 gab es den ersten großen Einbruch. Seitdem verlor die Krone zusehends an Wert, und das fast täglich. Im Dezember 2008 hatte sie ihren Tiefpunkt erreicht: 1.000 Kronen waren nur noch gute 6 Euro wert. Oder anders ausgedrückt: Bekam ich „früher“ für einen Euro 85 Kronen, war es auf einmal das Doppelte!
Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass meine Insel damit zum Beispiel ihre Mitgliedschaft im Club der „Teuersten Städte der Welt“ einbüßte – werden diese doch am Dollar gemessen. Noch 2007 behauptete sich Reykjavík gemäß einer Studie der The Economist -Gruppe auf einem stolzen sechsten Platz vor Oslo, Paris, Kopenhagen, London und Tokyo. Jetzt darf sich die isländische Landeshauptstadt dagegen – bei Gesamtplatz 67 im Februar 2009 – als billigste Stadt in Westeuropa betiteln. Björgólfur Thor Björgólfsson, der (ehemals?) reichste Isländer, hat plötzlich auch nicht mehr so viel Geld wie zuvor. Behauptete er sich im Jahr 2008 noch mit einem Nettovermögen von 3,5 Milliarden US-Dollar auf Platz 307 der berühmten Forbes-Liste der Weltmilliardäre, kostete ihm der isländische Wirtschaftskollaps etliche hundert Positionen. 2009 teilte er sich deshalb mit vielen anderen den 701. Platz bei einem Vermögen von „nur“ noch 1 Milliarde US-Dollar. 2010 fiel er dann ganz aus dem Rennen. Wer von der neuen Wirtschaftssituation allerdings profitieren kann, ist die Reisebranche. Die Fluggesellschaft Icelandair zögerte deshalb zum Beispiel nicht, umgehend mit dem „Schnäppchenparadies Island“ zu werben. Wie wäre es einmal mit Weihnachtsshopping in Reykjavík? Tatsächlich war das in der Vorweihnachtszeit 2008 erstmals eine echte Attraktion.
Selbstverständlich bedeutet der Verfall der isländischen Krone auch, dass im Gegenzug alle Importartikel postwendend teurer wurden. Eine verheerende Entwicklung für die isländische Nation, die doch in so hohem Maße auf Waren aus dem Ausland angewiesen ist. Ganz kurz nach dem großen Knall stand zum Beispiel die Reykjavíker Filiale des berühmten blau-gelben, schwedischen Möbelhauses vor der Wahl: entweder Preise erhöhen oder schließen. Und schwupps, kosteten von einem Tag auf den anderen alle Artikel durchschnittlich 25 % mehr.
Auch die Preise für tägliche Notwendigkeiten stiegen. Innerhalb eines Jahres musste der Endverbraucher für ganz normale Lebensmittel 40 % mehr als zuvor berappen! Dabei konnte sich Island schon vor der Krise mit den teuersten Nahrungsmitteln Europas rühmen. Inzwischen werde ich beim wöchentlichen Großeinkauf im Discounter-Supermarkt jedesmal locker 10.000 Kronen los. Zuvor waren es im Schnitt 5.000 bis 6.000. Unser Familieneinkommen ist leider nicht gestiegen.
Meine Reisegäste wundern sich deshalb auch immer wieder darüber, dass ihr Geld auf Island nach wie vor weggeht wie die warmen Semmeln. Nein, Island ist nicht zum Billig-Urlaubsland oder – wie in der oben erwähnten Island-Werbung suggeriert – Schnäppchenparadies geworden! Es kostet nicht alles nur noch die Hälfte! Denn natürlich wird das allgemein gestiegene Preisniveau auch an den Islandurlauber weitergegeben. Ich weiss von mindestens einem örtlichen Reiseveranstalter, dessen Touren zwar noch genauso viel kosten wie vor dem Einbruch – in Euro und Dollar. Wer jedoch mit isländischen Kronen bezahlt, blättert jetzt das Zweifache hin.
Die immensen Preiserhöhungen treffen auch meine Familie. Trotzdem gehören wir zu den Glücklichen, die relativ glimpflich davonkommen. Wir sind nämlich schuldenfrei. Unsere kleine Wohnung gehörte Stefán schon, bevor wir uns kennenlernten. Er hatte sie seinerzeit als eine Art Erbstück von einer Tante überschrieben bekommen. Die überschaubare Restbelastung konnten wir noch Ende 2008 abbezahlen.
Wer jedoch Kreditschulden in ausländischer Währung begleichen muss, hat oft schwer zu kämpfen oder, viel schlimmer, kommt finanziell kaum mehr über die Runden. Das ist leider kein seltener Fall im Zeichen der kreppa und erklärt die Notwendigkeit der weiter oben im Text erwähnten psychologischen Beratung zum Beispiel im Rotkreuzhaus.
Der Kreditwahn beschränkte sich ja nicht nur auf Geschäftliches. Auch der Privatmann investierte. Dazu muss man wissen, dass auf Island Immobilienbesitz bereits in jungen Jahren eine Tradition ist – oder zumindest bis vor kurzem
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