Zwischen Licht und Dunkel
Eier. Ich selbst konnte den genannten Ereignissen am Austurvöllur insofern einen Hauch von Ironie abgewinnen, als man – so las ich – zum Bau des heutigen, 1881 errichteten Parlamentsgebäudes ganz bewusst einheimisches Basaltgestein verwendet hatte. Hart und dauerhaft, als Symbol für eine Regierung, die auf festem Boden steht. Nun, da hatte das Baumaterial eindeutig mehr Beständigkeit als die Staatsregierung bewiesen.
Als Anfang 2009 dann die ersten Entlassungswellen über meine Insel zu rollen begannen, stand Island vor einer völlig neuen Situation. Was war geschehen mit der traumhaft niedrigen Arbeitslosenquote, die jahrelang bei maximal 3 % gelegen hatte? Während man sich in vielen anderen Ländern dieser Erde schon längst mit bis zu 10 % Arbeitslosigkeit abgefunden hat, waren solche Zahlen auf Island beinahe außerhalb des Vorstellbaren. 7 % und dann gleich 9 % im ersten beziehungsweise zweiten Quartal 2009! Noch nie zuvor hatte das isländische Arbeitsamt so viele „Neukunden“ zu registrieren. Plötzlich standen hochqualifizierte Bewerber dort Schlange, wo „früher“ empfindlicher Arbeitskräftemangel geherrscht hatte, in Reykjavíks städtischen Kindergärten zum Beispiel. Aber auf Island ist man doch nicht arbeitslos! Im Gegenteil, der Isländer zeichnet sich durch überdurchschnittlichen Arbeitseifer aus 2 . Finanziell waren und sind die meisten Kreppa -Opfer dank Arbeitslosengeld zwar einigermaßen abgesichert, aber was viele in ein tiefes seelisches Loch fallen ließ, war schlicht und einfach die Tatsache , arbeitslos zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass sich viele zumindest in der Anfangszeit für diesen „Zustand“ fast schämten. Jedenfalls nagte er massiv am Selbstwertgefühl.
Obendrein stellte sich für so manchen Arbeitslosen ein weiteres Problem: „Was nur mit der vielen Freizeit anfangen?“ Es dauerte nicht lange, bis zum Beispiel das „Rotkreuzhaus“ eingerichtet war und seine Pforten öffnete. Auch eineinhalb Jahre nach dem großen Schlag wirbt es noch regelmäßig mit kostenlosen Kursen und Beratung: Strickgruppe; Ernährung und Lebensstil; Qi-Gong; Herzmassage; Lachyoga. Außerdem stehen Psychologen für Gesprächsbedürftige bereit.
„Hast du in Erwägung gezogen, das Land wegen der aktuellen Wirtschaftslage zu verlassen?“ wollte im Februar 2010 eine Tageszeitung wissen. „Ja“, antwortete mehr als die Hälfte aller Umfrageteilnehmer. Mein Stefán hatte die Situation schon früher in ganz ähnlicher Weise analysiert: „Vielleicht müssen wir ja irgendwann Island verlassen, wenn sich die Wirtschaftslage nicht in absehbarer Zeit bessert.“ Na, so wie ich meinen Vollblutisländer kenne, wäre das für ihn die allerletzte Lösung. Trotzdem ist es beruhigend zu wissen, dass es für meine Familie im Fall der Fälle einen sicheren Hafen zum Einlaufen gäbe – mein Elternhaus in Nürnberg. Tatsächlich wurde der Weg ins Ausland eine echte Alternative zum Arbeitslos- Sein auf der Heimatinsel. „Willst du außerhalb von Island arbeiten?“ steht nämlich auf einmal an der Stelle in der Zeitung, wo es vorher vor landesinternen Stellenangeboten nur so gewimmelt hatte. Ich persönlich kenne zwei Familien, für die genau das zur Realität wurde. Einer dieser beiden Familienväter zog nach Norwegen und der andere nach Deutschland, um für seine Lieben das finanzielle Auskommen zu sichern. Währenddessen blieben die Mütter mit jeweils zwei kleinen Kindern erst einmal auf Island. Sie sind deshalb auf unbestimmte Zeit quasi alleinerziehend.
Tatsächlich wurde 2009 zum Rekordjahr in Sachen „Wegzug von Island“. Fast 5.000 Menschen mehr verließen die Insel im Vergleich zu denen, die hinzuzogen. Das bedeutet einen leichten Rückgang der Gesamtbevölkerungszahl – zum ersten Mal seit vielen Jahren.
„Bekommt denn hier jeder einzelne die kreppa am eigenen Leibe zu spüren?“ war die Frage schlechthin, die mir im Sommer 2009 unzählige Male gestellt wurde, meiner ersten Saison als Fahrrad-Stadtführerin in Reykjavík. Oh ja! Niemand kann sich den Folgen der Wirtschaftskrise entziehen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Um das besser verständlich zu machen, will ich einen kleinen Exkurs zur Entwicklung der Landeswährung einschieben.
Begonnen hatte der Wirtschafts-Schlamassel langsam. Schon eine ganze Weile hatte die isländische Krone mit einem Schwächeanfall zu kämpfen. Für die meiste Zeit meines eigenen Island-Daseins war ihr Wechselkurs ziemlich stabil. 1.000
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