Zwischen Licht und Dunkel
war. Die allermeisten Behausungen, etwa 75 bis 85 %, sind in Privateigentum. Dabei durfte bis vor ein paar Jahren nur die „Wohnkreditkasse“ entsprechende Kredite für Immobilienerwerb vergeben, eine unabhängige staatliche Einrichtung. Dann wurde das auf einmal auch den Banken erlaubt. Ich erinnere mich gut an die Werbung: „Fremdfinanzierung zu 100 %“, und das bei verlockenden Zinssätzen! Auf einmal konnte beinahe jeder eine Immobilie erstehen, selbst ohne Eigenkapital. Natürlich ergriffen viele die Gelegenheit beim Schopfe. Der Haken an der Sache: Aufgrund der enormen Nachfrage mussten die Banken ihrerseits wieder Geld herbeischaffen, und das taten sie aus dem Ausland, beispielsweise in Euro- oder Dollarform. Doch die damit gewährten Kredite sind Spielball des Wechselkurses. Für denjenigen, der nun mit einem solchen Kredit belastet ist, verdoppelten sich mit dem Fall der isländischen Krone die monatlichen Raten. Unsere ehemalige Nachbarin beispielsweise, alleinerziehende Mutter um die Vierzig, hatte plötzlich anstelle der einstigen 100.000 Kronen Monat für Monat gleich 200.000 aufzubringen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als in eine deutlich kleinere Wohnung umzuziehen. Die kleine Eigentumswohnung direkt unter unseren eigenen vier Wänden, bislang im Besitz einer jungen Frau, wurde sogar wegen Zahlungsunfähigkeit zwangsversteigert.
Einem Zeitungsbericht im Februar 2010 zufolge soll sich ein knappes Drittel aller isländischen Haushalte im Zahlungsenpass befinden; das bedeutet, Schulden anhäufen, die Ersparnisse angreifen oder den Konsum so drastisch herabschrauben zu müssen, dass es ans Existenzminimum geht. Vor Weihnachten verteilte eine ehrenamtliche Hilfsorganisation so viele kostenlose Lebensmittelpakete wie nie zuvor. Ich würde sagen, dass das Thema „Armut“ seit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch auf Island eine neue Dimension bekommen hat.
Doch trotz aller Misere – oder vielleicht gerade wegen ihr – stelle ich auch einen durchaus positiven Sinneswandel in den eigenen Reihen fest: Man besinnt sich wieder auf seine Wurzeln. Not macht bekanntlich erfinderisch. In diesem Sinne war zum Beispiel schnell ein neuer Werbeslogan gefunden: „ Veljum íslenskt – lasst uns Isländisches wählen!“ Salzfisch, Handwerk, Designerklamotten und der bewährte Milchkeks der Firma Frón. Fettfreie und daher gesunde isländische Kartoffelchips, gesalzen mit Meerwasser, sollen bald auf den Markt kommen. „ Stöndum saman – lasst uns zusammenhalten!“ Ja, auf einmal weht mir ein ganz besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit entgegen. Die Nationalfarben leuchten auffällig oft. Vom Fahnenmast, aus der Zeitung, vom Fernsehbildschirm. Familien, redet miteinander! Zusammen in ein neues Island.
„Es wurde auch höchste Zeit, dass wir von unserem hohen Ross heruntergeholt wurden; dass wir von diesem materialistischen Denken weggekommen sind!“, gab ein Isländer im Fersehinterview zu. Ein Blick auf den bislang extrem hohen Lebensstandard vieler Inselbewohner zeigt, was gemeint ist. Dicke Geländewagen zum Beispiel, das möglicherweise wichtigste Statussymbol. Mit einem vergleichsweise handlichen japanischen Offroader ließ sich hier schon lange niemand mehr beeindrucken. Die sogenannten Arctic Trucks geben wesentlich mehr her. Mit ihren extra hohen Reifen und dicken Antennen erinnern sie an überdimensioniertes, ferngesteuertes Kinderspielzeug. Im Jahr 2007 noch fanden alleine über 200 funkelnagelneue und sündhaft teure Land Rover ein Herrchen auf Island, im Schnitt einer pro Arbeitstag. Doch weit gefehlt wer glaubt, dass Islands Straßenverhältnisse ein solches Gefährt nötig machen. Abgesehen vom Hochland sind Islands Straßen so gut ausgebaut, dass man mit einem ganz normalen PKW wunderbar über die Runden kommt. Aber unbestreitbar gut macht sich so ein dickes Teil auf vier Rädern als Stadtauto schon. Viel zu schade – und viel zu teuer, um es am Ort seiner eigentlichen Bestimmung mit echtem Gelände in Berührung zu bringen. Konnte man bis dato mit seinem Prachtauto noch protzen, wird sich jetzt vielleicht der eine oder andere Besitzer lieber dezent im Hintergrund halten. Ganz allgemein ging im Jahr 2009 die Registrierung von Neuwagen im Vergleich zum Vorjahr drastisch – um sage und schreibe 80 % – zurück. Sogar Berichte vom Zurück-Export vorher importierter Autos hörte ich.
Auch mit den nach alter Tradition beliebten und zahlreichen Auslandsreisen gerade im Winter sieht es
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