Zwischen Licht und Dunkel
Lichterspektakel entsteht dadurch, dass von der Sonne stammende, elektrisch geladene Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen und dort Luftmoleküle zum Leuchten anregen. Dem menschlichen Auge offenbart es sich allerdings nur dann, wenn auch die Witterungsverhältnisse stimmen. Vor allem klar muss der Himmel sein! Dass es bei dieser Gelegenheit oft auch kalt ist, ergibt sich im Nebeneffekt. Dabei ist es keineswegs so, dass Nacht für Nacht der Himmel mit bunten Lichtschleiern übersät ist. In meinen meisten Islandwintern sah ich das Nordlicht vielleicht zwei-, fünf- oder zehnmal – allerdings ohne extra danach auf Jagd zu gehen. Wer eine Islandreise mit dem Hauptziel antritt, Nordlichter zu bewundern, sei daher vorgewarnt: Er könnte eine bittere Enttäuschung erleben. Es ist einfach Glückssache. Wenn es dann aber klappt, ist es wunderschön. Manchmal kann ich direkt vom Wohnzimmerfenster aus dem Lichtertanz am Himmel zusehen. Ein besonders großes Erlebnis war freilich „das erste Mal“. Überhaupt ist das isländische Licht mit all seinen Varianten und seiner unglaublichen Intensität die Facette des Landes, von der ich nicht genug kriegen kann.
Mindestens genauso oft wie strahlende Sonne bringt der isländische Winter auch solche Phasen mit sich, in denen es tagelang nicht richtig hell werden will. Dunkelgraue Wolken verhängen den Himmel und dazu bläst oft ein mächtiger Wind. Dann verspüre ich nicht das geringste Bedürfnis, auch nur die Wohnung zu verlassen und mein Bewusstsein vertieft sich, auf einer Insel zu sitzen. Ich kann genau beobachten, wie mit abnehmendem Licht mein persönlicher Aktionsradius immer kleiner wird. Ab November komme ich nicht mehr wirklich heraus aus der Stadt. Wohin denn auch, gibt es doch nach meiner Einschätzung zu dieser Jahreszeit jenseits der Hauptstadtgrenzen nur „jede Menge nichts zu tun“. Dann heißt es gut aufpassen, dass mich der Inselkoller nicht einholt. Nein, ganz so romantisch wie meine erste winterliche Kurzvisite präsentierte sich mir die dunkle Jahreszeit im Langzeittest nicht.
Wie mag sich der Islandwinter wohl erst im Inselnorden anfühlen, wo sich das Licht im Winter noch kürzer blicken lässt? Ein paar besiedelte Inselflecken müssen tatsächlich Winter für Winter mehr als zwei Monate lang ohne einen einzigen erleuchtenden Strahl auskommen. Wenn dann aber die Sonne Ende Januar endlich wieder ihren Weg durch die Wohnzimmerfenster findet, wird zur Feier des Tages ein „Sonnenkaffee“ veranstaltet. In der „Hauptstadt der Westfjorde“ Ísafjörður zum Beispiel ist das schon seit mehr als hundert Jahren Brauch. Original isländische Crêpe-ähnliche Pfannkuchen gehören zu diesem Tag so sicher wie die ersehnte Sonne. Vielleicht sollte ich doch einmal einen winterlichen Kurzurlaub Richtung Westen einplanen, um mir einen dieser ganz besonderen Pfannkuchen einzuverleiben.
Der Isländer eignete sich im Laufe der Zeit verschiedene Techniken an, um mit „seiner“ Winterzeit klar zu kommen. „Sonnenreisen“ heißt ein wirksames Zauberwort. Auf den Kanarischen Inseln oder in der Dominikanischen Republik zum Beispiel lassen sich ein paar Winterwochen ziemlich effektiv erhellen. Wenn eine Reise in den Süden gerade nicht drin ist, lässt sich auch mit Besuchen im heimischen Sonnenstudio etwas Abhilfe schaffen – oder mit Bräunungsspray. Mit einem gesunden Teint lassen sich schließlich besonders im Winter Attraktivitäts- Pluspunkte sammeln. Auch der regelmäßige Besuch im Fitnesscenter kann Wunder wirken. Hätte mir früher jemand prophezeit, ich als eingefleischter Outdoor-Fan würde mich dafür erwärmen können, hätte ich es glatt abgestritten. Aber ich probierte ihn doch aus, den isländischen Weg, und siehe da: Aerobic und Zirkeltraining tun Körper und Seele tatsächlich sehr gut. Eine universal wirksame Patentlösung gegen den Winterblues ist aber offensichtlich noch nicht erfunden. Denn der Islandwinter drückt längst nicht nur manchem Zugewanderten auf das Gemüt. Depressionen sind hier an der Tagesordnung und meines Wissens bekommt etwa ein Drittel der Islandbevölkerung irgendwann im Leben eine mehr oder weniger große Portion davon am eigenen Leibe zu spüren. Was mich betrifft, habe ich eines gelernt: Wenn ich nörgelig werde und nicht mehr gut schlafen kann, ist es wieder einmal Zeit, der Insel für eine Weile den Rücken zu kehren. Am besten in Form eines kleinen Deutschlandurlaubs.
Doch bereits im Februar lässt sich erahnen,
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