Zwischen Licht und Dunkel
an netten Grußformeln. Neben dem allgemein gehaltenen takk fyrir daginn („danke für den Tag“), ausgesprochen zum Beispiel den Kollegen gegenüber am Ende eines Arbeitstages, darf ein Schüler für eine gute Unterrichtsstunde gerne ein takk fyrir tímann („danke für die Stunde“) loswerden. Trifft man jemanden wieder, mit dem man erst kürzlich Zeit verbrachte, zum Beispiel auf einer Familienfeier, fällt zur Begrüßung ein takk fyrir siðast („danke für das letzte Mal“). Nach jeder Mahlzeit wird dem Koch oder der Köchin ein takk fyir mig („danke für mich“) ausgesprochen. Es dauerte eine ganze Weile, bis das bei mir durchsickerte. Erst als Stefáns Danksagungen auch nach monatelangem Zusammenleben kein Ende nahmen, wurde es mir bewusst. Wenn ich diese Floskel in meinem deutschen Elternhaus anbringe, tut Mama das meistens ab mit einem bescheidenen „ist schon gut, du brauchst dich doch nicht extra zu bedanken“. Die fachmännische Reaktion darauf wäre ein verði þér á góðu („werde es dir zum Guten“). In die Anrede von Leuten, die man gern hat, lässt sich eine extra Portion Liebe oder Freundschaft legen in Form eines minn beziehungsweise mín („mein“). Takk Stefán minn oder takk mamma mín ! Und wenn mich jemand als elskan („Schätzchen“) bezeichnet, stört mich das nicht. Auch das gehört dazu. Diese kleinen Feinheiten machen mir immer wieder warm uns Herz und ich möchte wenigstens ab und zu ein Stückchen davon nach Deutschland exportieren.
Dass es hier generell weniger „steif“ zugeht, zeigt auch folgendes Erlebnis einer befreundeten deutschen Frau, die so wie ich seit etlichen Jahren in Reykjavík lebt. Sie war mit ihrem isländischen Mann abends beim Essen und die beiden fuhren gemütlich durch die Stadt nach Hause, als sie ein Polizeiwagen überholte und zum Anhalten aufforderte. Ihr Partner hielt den Wagen an und stieg aus, während sich der Polizist bückte, um einen Aufkleber an ihrem Auto anzubringen. Die beiden Herren wechselten ein paar belanglose Worte über das Wetter und darüber, dass gar nicht so viel los sei an diesem Abend. Der Polizist will weder Führerschein sehen, geschweige denn Verbandskasten oder gar Warndreieck. Anschließend verabschiedet er sich mit Handschlag. Meine beiden „Missetäter“ wussten von Anfang an, wo das Problem lag: Schon vor einem dreiviertel Jahr hätte ihr Wagen zum TÜV gemusst. Das einzig Schlimme an diesem Vorfall ist die Tatsache, dass sie nun mit diesem scheußlichen rot-weißen „Zum TÜV gebeten“- Aufkleber am Wagen herumfahren müssen und damit jeder über ihr Vergehen Bescheid weiß. In Deutschland wäre die Begegnung unter Umständen weniger leger ausgefallen. Und es wäre wohl nichts anderes übrig geblieben, als das Auto an Ort und Stelle zurückzulassen und zu Fuß nach Hause zu gehen. Wieder einmal ist ein Beweis dafür erbracht, dass Herzlichkeit und Menschlichkeit auch vor der Obrigkeit nicht Halt machen müssen.
Nun aber zur „dunklen“ Seite des isländischen Charakters. So wie sich mir seinerzeit im Kurzurlaub der dunkle Winter sehr viel pikanter präsentiert hatte als später, als Neuer Isländer , über Wochen und Monate hinweg, verhielt es sich auch mit dem Leben unter den Einheimischen. Der Isländer hält sich nämlich gerne auf Distanz. Er trägt bisweilen eine harte, kalte Schale zur Schau, die ihn als unzugänglich und arrogant erscheinen lässt. Oft habe ich das Gefühl, dass ich nicht richtig an ihn heran komme. Wenn ich „isländisch bin“, also das mache, was Isländer zu tun pflegen, bin ich zwar immer willkommen, aber nicht wirklich ein Teil des Ganzen. Im Fitnesscenter zum Beispiel – wo ich nebenbei bemerkt meistens der einzige Nicht-Isländer in Sichtweite bin – mache ich meine Gymnastikübungen still und leise vor mich hin. Die einheimischen Damen dagegen halten angeregte Gespräche.
Oder nehmen wir den sogenannten saumaklúbbur . Es wird kaum eine isländische Frau geben, die nicht in einen solchen „Nähklub“ hineingeboren ist. Der naheliegenden, da namensgebenden Beschäftigung wird in solchen Damenkränzchen heute nur noch selten nachgegangen. Früher nähten und strickten die Frauen tatsächlich fleißig miteinander, im Winter zum Beispiel oder während ihre Männer auf hoher See waren. Besonders auf dem Lande gab es diese höchst soziale Institution. Heute ist saumaklúbbur das Codewort für geselliges Zusammensein unter Frauen allgemein, das weit über reine
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