Zwischen Licht und Dunkel
Kaffeekränzchen hinausgeht. Auch edle Abendessen sind drin, gemeinsame Tagesausflüge in heimischen Gefilden oder Wochenendtrips ins Ausland. Hauptsache gemeinsam, ohne männlichen Anhang und mit viel Gaudi. Die sozialen Bande untereinander sind dabei so eng geflochten, dass potentielle Beitrittsinteressenten kaum eine Chance haben. Sie tun besser daran, von Anfang an ihren eigenen Klub ins Leben zu rufen. Vorher hatte ich nie ein Problem damit, Kontakte zu knüpfen. Aber auf Island …
Außerdem muss ich immer wieder beobachten, dass der Isländer gerne in erster Linie an sich selbst denkt. Ihr könnt nämlich ziemliche Rüpel sein, meine Lieben! Insbesondere in der Welthauptstadt Reykjavík sind eure Manieren wirklich nicht immer und überall die besten. Kein Wort der Entschuldigung nach einem Anrempler auf dem Gehsteig; eine vor der Nase zugeschlagene Tür auf dem Weg in die Umkleidekabine nach dem Sport; die Unterbrechung eines Zwiegesprächs durch einen Dritten. Und diese Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität! Wie sah das Unterrichtszimmer jedes Mal aus, wenn ich meine Isländisch- Stunde an der Universität antrat! Leere Dosen, Flaschen, Schokoladen- und Sandwichpapier auf, vor, hinter und unter fast jedem Tisch. Nicht dass einer sein Gerümpel selbst wegräumen würde. Eine deutsche Freundin unterrichtete an einer Reykjavíker Grundschule und ließ sich auch immer wieder darüber aus, mit welcher Selbstverständlichkeit der Dreck ignoriert wird. Die Überreste der Sylvesterknallerei liegen im Mai noch in den Gärten. In unserem kleinen Wohnblock bleibt der im Treppenhaus verschüttete Kakao wo er ist, genauso wie die Zigarettenkippen, die im Laufe der Party ihren Weg über die Balkonbrüstung auf den Rasen darunter fanden. Na und? Eigentlich müsste ich dieses „Leck-micham- Arsch-Gefühl“ – Entschuldigung, aber mir fällt kein anderer Begriff ein, der die Situation besser beschreibt – inzwischen gewohnt sein, aber es wurmt mich trotzdem immer wieder aufs Neue.
Ein Blick auf den Straßenverkehr offenbart ein ähnliches Verhalten. Da wird gedrängelt und geschnitten, und ich wage zu bezweifeln, dass auf Island gefahrene Autos serienmäßig einen Blinker haben. Eingesetzt wird er jedenfalls nicht oft. Diszipliniert einfädeln lassen nach Reißverschluss-System? Ein schwieriges Unterfangen. Ich halte trotzdem an der Regel fest und bin überrascht, wenn sich jemand für eine gewährte Vorfahrt bedankt. Klar, auch anderswo sind nicht nur Lämmer auf der Straße, aber auf Island hatte ich schon überproportional viele frustrierende Momente und Schrecksekunden zu verkraften. Für den besonderen Adrenalinkick empfehle ich übrigens Radfahren auf der Straße, idealerweise im Kreisverkehr. Seit ich das einmal tat weiß ich, warum das Gehsteig-Radeln offiziell gestattet ist. Eine prickelnde Erfahrung ist auch die Fahrt im Stadtbus. Da heißt es gut festhalten und bloß nicht den Griff lockern. Der Bus mitsamt Insassen fliegt nämlich nur so um die Kurven. Blendend amüsierte ich mich bei anderer Gelegenheit über die Beobachtung, wie sich an einer Straßenbaustelle Fahrzeuge von beiden Seiten mit aller Gewalt die Vorfahrt sichern wollten: Einfahren auf die vorübergehend einzige Fahrspur und bloß nicht nachgeben! Das wäre im schottischen Hochland nicht passiert. Gerne würde ich manchen isländischen Autofahrer für eine Weile dorthin schicken, um ihn auf den vielen permanent einspurigen Straßen Rücksicht und Zuvorkommenheit im Straßenverkehr üben zu lassen.
Ich stelle immer wieder fest, dass es von meiner jeweiligen Tagesform abhängt, welche Eigenheiten des isländischen Charakters ich gerade in die Waagschale lege, die „hellen“ oder die „dunklen“. Letztere nehme ich schon lange nicht mehr persönlich, sondern kann sie – an guten Tagen – mit Gelassenheit tragen. „Willkommen auf Island“ denke ich mir in solchen Momenten im Stillen und kann mir oft genug sogar ein innerliches Schmunzeln nicht verkneifen. Aber dass mir bloß keiner behauptet, die natürlichen Gegebenheiten eines Landes würden seine Bewohner nicht prägen!
Ihr Kinderlein kommet
„Hast du Kinder?“ Kaum kennengelernt und schon gefragt. Der Isländer glänzt bisweilen durch geradezu unverblümte Direktheit. Aber wo er recht hat, hat er recht. Denn die Familienfrage ist auf Island wichtig. Kinder gehören einfach dazu. Sie werden als genau das betrachtet, was sie sind: das Natürlichste der Welt. Eigentlich ließe sich die
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