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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Spitzbart
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doch nicht damit zu rechnen, dass die Sprösslinge verloren gehen. Von Anfang an sind ihre Schlüsselkinder viel sich selbst überlassen und werden groß, ohne dass ständig jemand ein Auge auf sie hat. Somit wird der isländische Nachwuchs sehr früh selbständig. Eigentlich prima, doch die Kehrseite der Medaille sieht so aus: In Fachkreisen werde es nämlich gar nicht gut geheißen, dass die „Arbeit die Eltern geschluckt hat“ 1 . So war es Anfang 2008 in einer Tageszeitung zu lesen. Man möchte meinen, dass sich mit dem wirtschaftlichen Einbruch und der damit verbundenen, oft zwangsweise verringerten Arbeitsstundenzahl die elterliche Zeiteinteilung etwas mehr zugunsten des Nachwuchses verschoben hat. Doch nach wie vor ermahnen Kampagnen die Familien dazu, auch und gerade mit ihren Teenagern mehr Zeit zu verbringen. Das sei der wirkungsvollste Weg, die junge Generation von Suchtmitteln wie Drogen und Alkohol fernzuhalten. Womit sich der Kreis zur Gebärfreudigkeit wieder schließt … Ich bin nämlich davon überzeugt, dass die Feierfreudigkeit der jungen Isländer, mit der oft eine ordentliche Portion Alkohol verbunden ist, nicht ganz unschuldig ist am isländischen Kinderreichtum. Man hört ja immer wieder, dass es die Leute hier recht bunt treiben, wenn sie abends fortgehen und am Morgen danach durchaus neben einem Fremden aufwachen. Und Alkohol setzt bekanntlich Hemmschwellen herunter.
    Mein Verdacht wird durch folgende Tatsache erhärtet: Mir begegnen laufend ausgesprochen junge Mütter, selbst wenn die isländische Durchschnittsfrau offiziell im Alter von sechs- oder siebenundzwanzig Mutter wird. Das sind drei bis vier Jahre früher als die deutsche. „Ich habe eine einjährige Tochter“ verkündete einmal ein weiblicher Schnupperlehrling, den Blick auf meinen damals unübersehbaren Babybauch gerichtet. „Du bist aber viel jünger als ich“ fiel mir darauf nur ein. „Ja, ich bin achtzehn.“ Nur gut, dass hier blutjunge und/oder alleinerziehende Elternteile ebenso wenig wie uneheliche Kinder Bedenken haben müssen, was die Akzeptanz von Seiten der Gesellschaft angeht. Als Single-Mama oder -Papa hat man hier auch Vorteile: Beispielsweise kostet ein Kindergartenplatz nur halb so viel.
    Wenn ich mir das recht überlege, hätte ich als Erstgebärende mit stattlichen siebenunddreißig Jahren genauso gut Großmutter statt Mutter werden können! Ein eigenartiger Gedanke. Aber auch als „Spätgebärende“ stehe ich hier nicht alleine auf weiter Flur. Isländische Frauen kosten nämlich gerne die gesamte Bandbreite ihrer Gebärfähigkeit aus, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wie nett ist es doch, so ein Kleines zu haben! Kein Wunder, dass es immer wieder vorkommt, im letzten Moment noch eines obendrauf zu legen. „Die isländische Frau zwischen siebzehn und vierzig ist ständig schwanger“, beschrieb eine Nicht-Isländerin mir gegenüber einmal die Lage halb im Scherz. Aber der berühmte Funken Wahrheit daran lässt sich nicht verleugnen. Denn wer sein erstes Kind mit zwanzig oder noch früher hat, kann mit Leichtigkeit fünfzehn bis zwanzig Jahre später das letzte bekommen. Dass daraus eine ganz eigene Familienstruktur resultiert, ergibt sich von selbst.
    „Ich habe zwei Papas!“ plappert denn auch der Vierjährige auf der Schaukel drauf los, während meine Anna den Sandkasten des Spielplatzes unsicher macht. Der Kleine hat das ganz richtig erfasst: Papa Nummer eins ist der leibliche Vater, während es sich bei Papa Nummer zwei um den aktuellen Partner der Mama handelt. Eine Tatsache, die kein Geheimnis bleiben muss. Wer ein Problem damit haben könnte, dass ein neuer Lebenspartner möglicherweise Kinder im Schlepptau hat, sollte sein Glück diesbezüglich lieber nicht auf Island suchen. Ich habe mir mit Stefán auch insofern ein seltenes Exemplar geangelt, als er zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens noch kinderlos war. Nach bestem Wissen und Gewissen, wie er das so schön auszudrücken pflegt. Und das, obwohl er seinen Dreißiger seinerzeit schon überschritten hatte. Nach echt isländischen Regeln müsste er eigentlich inzwischen mindestens einen Nachfahren im Teenager-Alter haben. Ein ehemaliger Arbeitskollege hatte mit Mitte dreißig fünf Kinder mit drei verschiedenen Frauen. Es ist nämlich nicht nur so, dass viele isländische Frauen bald Mutter werden. Auch Islands Männer sind oft schon in jungen Jahren äußerst treffsicher. Wer aber sein erstes Kind früh hat, sei es Mann oder Frau,

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