Zwischen Licht und Dunkel
Viele Jugendliche verdienen neben der Schule her ihr eigenes Geld. „Ideal für Schüler“ ist deshalb immer wieder in Stellenangeboten zu lesen oder „Nicht jünger als siebzehn“. Jobben in der Pizzabäckerei und Kassieren im Supermarkt sind echte Schülerklassiker. Mindestens fünfzehn Jahre alt müssen die Kids für einen Kassiererjob sein, mahnt die Arbeitsschutzkommission. Wenn ich mich allerdings umsehe, habe ich den Eindruck, dass sich mitunter doch jüngeres Gemüse eingeschlichen hat. Zeitungsmeldungen bestätigen meinen Verdacht: Mitunter treiben schon Vierzehnjährige am Kassenrollband das Kundengeld ein. Ein Bild, an das ich mich nicht gewöhnen kann und eigentlich auch nicht will. Denn wie oft verließ ich schon den Supermarkt angegähnt und ignoriert von einem allzu jungen Kassierer, der sich seinem Kaugummi ausgiebiger gewidmet hatte als dem Kunden. Wirklich verdenken kann ich den Kids dieses sichtliche Defizit an Kundenfreundlichkeit eigentlich nicht. Wenn doch der Vorgesetzte oft selbst noch mit druckfrischem Führerschein – den gibt's ab siebzehn – in der Tasche herumläuft. Nur mit größter Mühe konnte ich einmal einem Schichtleiter im Supermarkt überhaupt nur ein Wort entlocken, als ich höflichst fragte, ob und wie ich am besten den Käse umtauschen könnte, den weit vor Ablauf seiner Haltbarkeit das Zeitliche gesegnet hatte. Mit einer Entschuldigung für das Missgeschick hatte ich vorsichtshalber von vorneherein nicht gerechnet … ein leidiges Thema!
Ich wage es zu bezweifeln, dass die allgemein hohen Lebenshaltungskosten sowie der traditionelle persönliche Lebensstandard die alleinigen Gründe dafür abgeben, dass so viele Isländer die Arbeit zu ihrem vielleicht wichtigsten Lebensinhalt erklärt haben.
Da wäre nämlich auch noch die Sache mit dem isländischen Winter … Dass dafür eine möglichst zeitintensive Aufgabe kein Fehler ist, weiß der Leser bereits. Und wenn Arbeit keine wirksame Medizin gegen den Winterblues ist!
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1 Siehe Kapitel „Vom Leben in der Krise“.
Feuer und Eis
„Wenn man sie kennt, sind die Isländer richtig nett. Wenn nicht, dann nicht“, beschrieb mir gegenüber einmal ein ehemaliger Neuer Isländer die Bewohner seiner Wahlheimat auf Zeit. Besagte Dame war nach etlichen Islandjahren wieder in ihre alte Heimat, die USA, zurückgekehrt.
Ihr Urteil kann ich nicht ganz von der Hand weisen. Denn manchmal werde ich aus meinen Insulanern einfach nicht schlau, bin mir nicht sicher, wie ich sie nehmen soll. Sie zeigen mir nämlich zwei Gesichter, die nicht gegensätzlicher sein könnten. Eines davon ist offen und herzlich, das andere geprägt von Distanziertheit und einer ordentlichen Portion Selbstliebe. Island, die Insel aus Feuer und Eis, ist oft zu lesen. Heiße Quellen und kalte Gletscher, Licht und Dunkelheit, Lebendigkeit und Düsternis. Die isländische Natur ist geprägt von Extremen. Ich behaupte, dass sie sich auch im Charakter der Menschen hier niederschlagen.
Schon als ich das erste Mal auf die Insel kam, als Urlauber, durfte ich mit der „hellen“ Seite der Inselseele Bekanntschaft schließen. Nette Gespräche und spontane Hilfsbereitschaft, wo ich auch hinkam. Darin wird mir wahrscheinlich jeder zustimmen, der schon einmal Islandgast war. Ich jedenfalls war beeindruckt. Auch später, als Neubürger, durfte und darf ich diese Erfahrung immer wieder aufs Neue machen. So wurde ich zum Beispiel von Anfang an mit offenen Armen in den Kreis meiner ausschließlich isländischen Arbeitskollegen aufgenommen. Und mir wird immer noch ganz warm ums Herz, wenn ich an die herzliche Begrüßung an meinem alten Arbeitsplatz zurückdenke, als ich dort nach eineinhalb Jahren Babypause aushalf.
Überhaupt ist hier der tägliche Umgang miteinander von einer persönlichen, ja fast liebenvollen Note geprägt. Am Arbeitsplatz genauso wie im Familien- und Freundeskreis. Kaum jemand wird es versäumen, einem Gast umgehend etwas „Heißes aus der Kanne“ anzubieten: eine Tasse Kaffee; so wie der Brite postwendend „den Kessel aufstellt“. Davon abgesehen, ist zur Begrüßung mit einer herzlichen Umarmung und einem Schmatz auf die Backe zu rechnen. Der gehört auch am Ende der letzten Gymnastik- oder Sprachkursstunde zum guten Ton.
Lustig finde ich es, wenn eine Gruppe von längst erwachsenen Frauen mit stelpur ! („Mädels!“) oder Männern mit strákar ! („Jungs!“) angesprochen wird. Besonders schön ist die große Palette
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