Zwischen Licht und Dunkel
wird mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens einen Partnerwechsel hinter sich haben, bevor sich das nächste Kleine auf den Weg macht. In meinem Bekanntenkreis gibt es den pikanten Fall, dass ein Mann bereits mit seiner neuen Freundin zusammengezogen war, als sein Sohn aus der vorausgegangenen Partnerschaft geboren wurde.
Das Ergebnis ist die kunterbunte, Island-typische Patchworkfamilie, bestehend aus (Ehe)Paar und Kindern unterschiedlichster Vater-Mutter-Kombinationen. Wenn beide Partner bereits Nachwuchs aus früheren Beziehungen haben und obendrein gemeinsamen, dann geben Namen alleine überhaupt keinen Aufschluss mehr über die Familienzugehörigkeit. 2 Nicht selten sind außerdem alle Altersklassen und damit Entwicklungsstufen innerhalb einer Familie vertreten, vom Säugling über das Kleinkind zum Kind und Teenager. Deshalb hat auch so manches vierzehnjährige Mädchen einiges in Sachen geschwisterliche Baby- und Kleinkinderpflege auf Lager, was manche mittelalte frischgebackene Mutter glatt in den Schatten stellt. Innerhalb meiner eigenen isländischen Verwandtschaft gibt es ein kleines Zwillingspärchen, auf das eine zehnjährige Schwester und ein fünfzehnjähriger Bruder stolz sind. Obwohl gerade letzterer sich vielleicht etwas Spannenderes vorstellen könnte, als Babysitter zu spielen.
Sobald auf Island ein Kindlein unterwegs ist, läuft ungefähr folgendes Szenario ab: Der Arzt mag zwar die offizielle Diagnose stellen, gleich danach verabschiedet frau sich von ihm aber schon wieder – wenn alles wie am Schnürchen läuft. Denn die Schwangerschaftsvorsorge liegt ganz und gar in sicheren Hebammenhänden. Frau ist schließlich nicht krank. Selbst während der Geburt lässt sich im Normalfall kein Arzt blicken, obwohl er natürlich für den Notfall in Reichweite ist. Wer nach getaner Geburtsarbeit glaubt, sich für ein paar Tage in der Klinik erholen zu können, hat meistens falsch gedacht. In Reykjavík darf im Idealfall zwar auch Papa eine Nacht im sogenannten „Nest“ verbringen, der Klinikabteilung für die junge Familie, die eher an ein Babyhotel als ein Krankenhaus erinnert. Doch schon am nächsten Tag geht es bereits mit Sack und Pack ins eigene Heim, wo eine Hebamme täglich nach dem Rechten sieht.
Zu den üblichen Nestbauaktivitäten, denen werdende Mütter bekanntlich nachzugehen pflegen, gesellt sich für viele isländische Frauen auch folgende Pflichtübung: Spätestens jetzt muss eine persönliche Internetseite für den erwarteten Nachwuchs her! Ab sofort wird unter „Kinderland“ oder „Kindernetz“ absolut alles dokumentiert: Übelkeit und Ultraschall, Bauchumfang und erstes Photo, jedes Gramm Gewichtszunahme und jede volle Windel. Auf diese Weise können sämtliche Familienmitglieder und Freunde das große Abenteuer haarklein und fast live mitverfolgen. In manchen Fällen ist nicht einmal ein Passwort notwendig, so dass ohne weiteres jedermann nackte Babybäuche unbekannter Mamas in spe inspizieren kann. Aus Neugierde betrieb ich diesen Sport auch schon. Mir persönlich ist diese Angelegenheit aber viel zu privat. Bis heute sehe ich deshalb keinen Grund dazu, für unsere Familie eine solche Seite einzurichten. Schließlich lassen sich die nötigen Bilder auch per Email verschicken. Für Überraschung sorgte in unserem isländischen Verwandten- und Bekanntenkreis außerdem das nach deutscher Tradition übliche Kärtchen, mit dem wir unser neugeborenes Mädchen vorstellten. So etwas hatte Island bis dahin noch nie gesehen.
Richtig viel Zeit und Muße für die Vorbereitungen auf das große Finale bleibt allerdings nicht. Auf Island legt nämlich die werdende Mutter den Stichtag selbst fest, an dem ihre Schonfrist beginnen soll. Und sie wird sich – wenn es ihr gut geht – nur in den seltensten Fällen zu dem hinreißen lassen, was beispielsweise das deutsche Mutterschutzgesetz vorsieht: sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin daheim bleiben? Lieber so lange wie möglich arbeiten! Ich meinerseits konnte meinen Arbeitstag nach und nach verkürzen, dank der Kulanz meines Arbeitgebers sogar ohne ärztliches Attest. Kaum war ich zwei Wochen zu Hause, war ich auch schon Mutter. Dann gibt es natürlich noch eine ganz schlaue Variante: sich krank schreiben lassen, um den Kuchen „Erziehungsurlaub“ so lange es geht unangetastet im Schrank zu belassen. So lässt sich von ihm nach hinten hinaus länger zehren.
Geregelt ist der Erziehungsurlaub im allgemeinen folgendermaßen: Beide
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