Zwischen Liebe und Begierde: Im Königreich der Oyesen (German Edition)
Absolute Stille und Dunkelheit umfingen Jasurea. Sie hörte ein erschrockenes Keuchen, wurde sich dann bewusst, dass es von ihr selbst stammte.
„Hallo? Hallo? Wer ist da?“, hörte sie eine raue Stimme fragen, nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
Endlich kam Bewegung in Jasurea. Sie stellte den Beutel mit Nahrung auf den Boden.
„Ich“, sagte sie dümmlich.
„Eine Frau? Du bist eine Frau?“, hörte sie den Prinzen überrascht fragen. Er sprach gut Oileh, die Sprache der Oyesen, wenn auch mit einem Akzent.
„Ja…ich… ich bin… Jasurea“, sagte sie in die Dunkelheit.
Sie hörte Ketten klirren. „Jasurea. Was für ein schöner Name. Schön wie das Sonnenlicht.“
Licht. Jasurea wünschte sich nichts sehnlicher als Sonnenlicht.
„Ich habe dir etwas mitgebracht. Essen, Trinken.“
Sie wartete auf eine Erwiderung, doch der Prinz schwieg.
„Du… hast keinen Durst?“, fragte Jasurea leise. War es möglich, dass ihm jemand trotz des Verbotes Wasser gebracht hatte? Oder hatte der Vater des Prinzen doch noch einem Handel mit Jasureas König zugestimmt? Einem geheimen Abkommen etwa, von dem sie nichts wusste? Hatte sie ihr Leben etwa umsonst aufs Spiel gesetzt?
„Ich dachte, es sei verboten.“
„Wie bitte?“
„Essen und Trinken zu bringen. Ich dachte, es sei nur Familienangehörigen gestattet“, präzisierte der Prinz.
„Ja. Ja, das stimmt“, flüsterte Jasurea.
Der Prinz schwieg. Jasurea hörte Ketten rasseln.
„Wer also bist du?“
„Ich… ich bin Jasurea. Aber ich habe mich als… als deine Verlobte ausgegeben.“
Es war so dunkel, dass sie nicht einmal die Silhouette des Prinzen erkennen konnte. Er konnte nicht wissen, dass sie die junge Frau war, die er auf dem Triumphzug mit seinem Blick umarmt hatte. Jasurea wollte es ihm nicht sagen. Noch nicht.
Der Prinz schwieg lange. Als er schließlich sprach, war seine Stimme rau. „Ich habe großen Durst.“
„Hier!“ Jasurea nahm hastig den Wasserbeutel vom Rücken und streckte ihn in die Dunkelheit, in die Richtung, in der sie Nesean vermutete.
„Du musst näher kommen. Man hat mich in Fesseln gelegt.“
Langsam trat Jasurea einen Schritt näher. Dann zwei.
„Wo bist du?“, fragte sie leise.
Fesseln klirrten, als Nesean sich bewegte. Eine Hand berührte ihren Arm. Jasurea zuckte zusammen.
„Hier. Hier bin ich“, murmelte Nesean. Er tastete nach dem Wasserbeutel. Seine Hände fanden den Beutel und umschlossen ihn. „Ist das Wasser?“
Jasurea nickte. Als ihr bewusst wurde, dass Nesean dies nicht sehen konnte, bejahte sie.
Der Prinz riss ihr den Beutel förmlich aus den Händen. Hastig öffnete er den Verschluss. Im nächsten Moment hörte Jasurea, wie er gierig trank. Er trank so lange, dass Jasurea glaubte, er würde den ganzen Wasserbeutel in einem Zug leeren.
Schließlich setzte er den Beutel ab. Als er sprach, hallte seine Stimme von den kühlen Steinmauern wieder: „Jasurea, Licht der Dunkelheit. Wie lange Zeit wirst du mein sicheres Ende hinauszögern?“
Sonne. Licht. Leben.
Jasurea saß einmal mehr auf den Steinstufen vor dem Haus ihrer Tante, das Gesicht dem Himmel zugewandt.
„Na, ist dir nicht heiß genug?“, hörte sie ihre Tante fragen, die einen Blick aus dem Haus warf. „Warum setzt du dich ins gleißende Sonnenlicht?“
Jasurea antwortete nicht. In Gedanken war sie noch immer bei Nesean Iku. Seine hoffnungslosen Worte jagten ihr jetzt noch einen Schauer über den Rücken: Wie lange wirst du mein sicheres Ende hinauszögern? Noch bevor die Worte in der kleinen Zelle verhallt waren, hatte Jasurea den Beutel mit Nahrungsmittel erschrocken fallen gelassen. Hastig war sie zurückgesprungen, hatte mit fiebrig tastenden Händen nach der Zellentür gesucht, wobei sie ihren eigenen, keuchenden Atem hören konnte. Sie bekam weiche Knie vor Erleichterung, als sie endlich die stählerne Zellentür ertastete. Heftig hatte sie dagegen gehämmert. Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis die Wache endlich kam, um die Tür aufzuschließen. Ohne ein weiteres Wort war Jasurea aus der Zelle gestürmt, hatte sich durch den engen Korridor gezwängt und war die Treppe hinaufgeflogen, dem Sonnenlicht entgegen. Sie war den ganzen Weg nach Hause gerannt. Erschöpft und erleichtert darüber, in Sicherheit zu sein, war sie auf der Steintreppe vor ihrem Haus zusammengebrochen, hatte die Augen geschlossen und das Gesicht der Sonne entgegengereckt. Sie war dankbar dafür, den Tiefen des Kerkers
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